Kritik: Europa stellt sich taub und blind

Tunesien: Mehr als 50 Tote bei Protesten

Trotz massiver Gewalt von Polizei und Armee geht die Jugendrebellion in Tunesien weiter. Die Zahl der Toten nach den Protesten am Wochenende hat sich auf an die 50 erhöht. Das Land ist in Flammen, sagt die im spanischen Exil lebende tunesische Menschenrechtsaktivistin Sihmen Bensedrine.

Von Regime ins Exil getrieben

Sihem Bensedrine kennt das, wovon sie spricht. Weil sie Unangenehmes über das Regime berichtet hat, wurde sie verfolgt, zusammengeschlagen, eingesperrt, bis sie schließlich ins Exil ging. Mit ihren Mann betreibt sie ein Internetradio, dass - über freiwillige Korrespondenten - stündlich über die Vorgänge in Tunesien berichtet. Über 50 Tote sind laut ihrer Organisation "Conseil de Liberté" die Bilanz der Unruhen.

Mittagsjournal, 11.01.2011

50 Tote und 50 Schwerverletzte

Bensedrine: "Wir haben eine Liste mit 35 identifizierten Toten, weitere 15 sind noch nicht identifiziert. Es sind von Kugeln zerschossene Körper, die bei Friedhöfen oder in Flüssen aufgetaucht sind. Schwerverletzte liegen in Spitälern - die Zahl ist sicher höher als 50."

"Regime hat sich entlarvt"

Die Polizei hat vor allem in den Städten Talah, Kasserine, Regueb gewütet: "Polizei und Todesschwadronen des Präsidenten haben die Städte im Zentrum und im Westen des Landes durchkämmt und nicht nur auf Demonstranten geschossen. Sie haben Leute aus ihren Wohnungen gezerrt, an den Stadtrand gebracht und sie getötet."

Das Regime habe sich entlarvt, als grausame Diktatur: "Jetzt sind sie Mörder, es ist eine mafiöse Diktatur, die häufigsten Slogans der Proteste sind: gebt dem Volk das Geld zurück, Ben Ali verschwinde! Das Volk will dieses Regime nicht mehr, das von den Europäern gestützt wird. Beim Iran gab es laute Kritik. In Tunesien sind wir in der vierten Woche, und nicht geschieht! Nichts gemessen an den vielen Toten."

Europa reagiert nicht

Europe stelle sich blind und taub, weil es fürchte, dass Tunesien, sein islamisches Vorzeigeland, zusammenbricht. Sihmen Besedrine attackiert besonders Frankreich, das die Diktatur von Präsident Ben Ali von Anfang an unterstützt hätte. Bensedrine ist aufgewühlt: "Lieber lassen sie zu, dass die Tunesier verrecken, als ihr Modell aufzugeben. Sie sehen im Land eine Bastion gegen den Terrorismus, gegen den Islamismus.

Keine Islamisten

Und es gibt auch keine Islamisten bei den Unruhen, sagt Sihem Besedrine: "Die Realität widerlegt das. In den ganzen vier Wochen seit Beginn der Ausstände waren weder islamistische Slogans zu hören, noch Bärtige zu sehen, nichts dergleichen, nur Slogans gegen die Diktatur."

Polizei legt Feuer

Die einzige irgendwie oppositionelle Kraft, die derzeit in Tunesien funktioniere, sei die Gewerkschaftzentrale, die sich hinter die Demonstrationen gestellt habe und ein Ende der Polizeigewalt verlangt. Aber wie es weitergehen soll, wisse niemand. Das Regime habe jede Art von politischen Alternativen erstickt: "...und das Resultat haben wir jetzt: Das Land ist in Flammen, aber nicht die Demonstranten legen das Feuer, es ist die Polizei, die die Menschen gesehen und gefilmt haben, wir sie Feuer legt, um ihr Schießen und Töten zu rechtfertigen.