Vom Ballhaus ins Tollhaus

Shermin Langhoff im Porträt

Man kann es durchaus einen Coup nennen, der den Wiener Festwochen mit der Verpflichtung von Shermin Langhoff als Teil der künftigen Doppelspitze gelungen ist: Die türkischstämmige Leiterin des Berliner "Ballhaus Naunynstraße" gilt mit ihren 41 Jahren als eine der erfolgreichsten Theatermacherinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Arbeit mit der zweiten und dritten Migrantengeneration hat der Intendantin und "Mentorin für Kultur" zuletzt auch den renommierten Kairos-Preis eingebracht.

Langhoff fördere bisher unbekannte Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen, lobte dessen Jury noch Ende Februar. "Selbstbewusst, bestimmt und humorvoll" bereichere sie den Theaterbetrieb mit herausragenden Stücken von Regisseuren und Autoren, die auf anderen Bühnen (noch) nicht gezeigt werden.

Junge Talente entdeckt

Mit Sensibilität und Gespür entdecke sie junge Talente, die sie nachhaltig fördere und begleite. Langhoff thematisiert im Theater die Fragen des Miteinander verschiedenster Kulturen und den Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit den Minderheiten - "das ist vom Theater lange verschlafen worden" und "wurde offenbar gebraucht, denn wir hatten schon zu Beginn über 90 Prozent Auslastung", sagte Langhoff vor zwei Monaten im APA-Gespräch.

Gebürtige Türkin

Das Ballhaus Naunynstraße leitet die gebürtige Türkin seit der Eröffnung 2008. Sie war mit neun Jahren als Kind nach Deutschland gekommen, hatte zuerst Ausstellungen und Lesungen organisiert - "die inter- und transkulturelle Praxis", wie sie es nennt. Auf eine Zeit als Redakteurin und beim Film, wo sie begann, deutsch-türkische Netzwerke zu entwickeln, folgte 2004 ein Engagement als Kuratorin ans Berliner Hebbeltheater. Dort machte sie Migration zum Thema ihrer Arbeit. Als das Projekt nicht fortgeschrieben werden konnte, wurde die Option mit der Übernahme des Ballhauses schnell konkreter.

Nach 25 eigenen Theaterproduktionen im Ballhaus Naunynstraße hat sich ein Produktionsstamm von rund 20 professionellen freien Schauspielern herausgebildet, zumeist mit migrantischem Hintergrund, die immer wieder am Haus auftreten. Auch Autoren und Regisseure, teils auch bekannte Unterstützer wie Fatih Akin oder Neco Celik, weisen meist eine nicht-deutsche Biografie auf. "Die Zugehörigkeit ist aber selbstverständlich nicht die Bedingung, sie ergibt sich oft aus der Dringlichkeit und Subjektive, die uns interessiert", spricht Langhoff nicht zuletzt den Zielen der rot-grünen Stadtregierung in Wien aus der Seele.

Postmigrantisches Theater

Als Vorbild für gelungene Integration will die Ehefrau des Regisseurs Lukas Langhoff selbst nicht gesehen werden. Zumindest nicht nur. Ihr Anspruch sei, mit ihrer Arbeit zu zeigen, dass es nicht nur um Herkunft gehe, dass Theater nicht von Konzepten, sondern von Menschen gemacht werde. Als Meilenstein ihrer "postmigrantischen Bühne" gilt das Stück "Verrücktes Blut", das die Spannungen zwischen einer Schulklasse mit Migrationshintergrund und ihrer Lehrerin zeigt und zuletzt zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde - eine große Ehre für ein Off-Theater.

Langhoff, deren eigene Inszenierungen sämtliche Klischees bedienen und sie zugleich entkräften, hat das Ballhaus Naunynstraße innerhalb kürzester Zeit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntgemacht, hier sitzen Kulturschaffende und Kiez-Bewohner Seite an Seite im Publikum. 30 Prozent der Zuschauer kommen aus dem "Multikulti"-Bezirk Kreuzberg, wo die Leiterin selbst mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt, der Rest aus Berlin und darüber hinaus. "Ich freue mich sehr über die Mischung, weil Begegnungen stattfinden", bilanzierte Langhoff im März gegenüber der APA - und fügte hinzu: "Und damit ist nicht der Zoo gemeint, wo das Bürgertum Kanaken gucken kann."