Die Resonanz des Publikums

Mieze Medusa will etwas mitgeben

"Ich bin das Kind gewesen, das auf dem Schulweg nach Hause Selbstgespräche geführt hat, ich habe immer schon zu viele Worte gehabt, die raus mussten. Was mich gerettet hat, war eine Begegnung mit dem Hip-Hop." Mieze Medusa, Meisterin des rhythmischen Wortschwalls.

Hip-Hop, Rap und Spoken-Word-Performance sind die Ausdrucksformen, mit denen die 1975 als Doris Mitterbacher geborene Künstlerin heute ihren Worten freien Lauf lassen kann. Von Anfang an habe sie gewusst, dass sie schreiben wolle, erzählt Mieze Medusa. Jedoch wagte sie sich zunächst nicht an die Literatur heran - die Welt der Dichtung mit ihren schier unüberschaubaren Möglichkeiten verlangte ihr allzu großen Respekt ein.

Mieze Medusa, Slam-Poetin

Schreiben ist erst der halbe Weg

Regeln, die man verletzen kann

"Es gibt fast keine Regeln mehr, wie man schreiben muss, und das ist ja gut. Aber das heißt, dass man jedes Wort mit jedem kombinieren kann - und das war für mich zu viel Auswahl. Beim Hip-Hop gibt's strenge Regeln, es muss gereimt sein, es gibt ganz strikte Vorstellungen, was Hip-Hop ist, wie er klingen muss, da war es für mich ganz einfach zu sagen: Das sind die Regeln, die erkenne ich, aber an die halte ich mich nicht, das hat dann bei mir das Schreiben ausgelöst."

"Poetry Slams" heißen jene Dicht-Wettbewerbe, die, aus Amerika kommend, längst auch hierzulande ein meist junges Publikum erfreuen: In einem begrenzten Zeitrahmen von etwa fünf Minuten soll die Hörerschaft mit Witz, Geist und erfinderischer Vortragskunst für literarische Texte gewonnen werden. Da darf geflüstert, gehechelt, getanzt oder mit der Zunge geschnalzt werden, oberste Vorgabe ist es, das Publikum mitzureißen. Das Aufeinandertreffen und das Zusammenspiel der Vortragenden mit ihren Zuhörern - das ist für Mieze Medusa das Wesen dieser Kunstform: eine bleibende Begegnung.

"Der Grunddrang dazu war die Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Publikum. Ich will meine Texte immer vortragen, jemandem mitgeben, ich möchte gerne gehört werden. Und das Schönste ist, wenn das gelingt - wenn man merkt, der Text verlässt den Mund und fällt wohin und landet wo. Und die Abende, wo das nicht gelingt, das sind dann die Abende, aus denen man etwas lernt."

Flüchtige Literatur

Den Rhythmus eines Textes zu spüren, den Körper zusammen mit dem Geist schwingen zu lassen fasziniert Mieze Medusa. Soeben hat sie zusammen mit Markus Köhle im Milena-Verlag mit dem Band "Mundpropaganda" eine Sammlung der besten Poetry-Bühnentexte herausgebracht. Schreiben sei für sie die größte Herausforderung - und dennoch, so Mieze Medusa, erst der halbe Weg. Die Worte müssen auch an ihre Adressaten gebracht werden:

"Ich hab vom Publikum erwartet, dass es auf mich zukommt, dass es die Texte bei mir abholt, so in der Art: Ich habe den Text eh schon geschrieben und jetzt lese ich ihn auch noch vor, das muss doch genügen. Aber Schreiben ist erst die halbe Miete, das habe ich beim Poetry Slam gelernt, und das hat mir wirklich viel gegeben."

Mündlichkeit und damit auch Flüchtigkeit muss der Literatur, die ja nach Beständigkeit trachtet, keineswegs abträglich sein, meint Mieze Medusa. Man muss ja nicht bis zu den Minnesängern zurückgehen, um diese These zu untermauern, sagt sie, auch das noch verhältnismäßig junge Internet beweist, dass ein flüchtiges Medium alte Kunst wieder zurückbringen und damit neue Spielarten ermöglichen kann:

"Es gibt einen Science-Fiction-Roman von Nils Stevenson, 'Snow Crash', der besagt, dass das Internet die Mündlichkeit zurückgebracht hat, und dem stimme ich zu! Und das Internet hat auch die Grundlage für eine neue Art der Performance-Poetry geschaffen."

Das Hier und Jetzt zählt

"Was bleibet aber, stiften die Dichter" wusste schon Hölderlin. Mieze Medusa will dem Urteil der Nachwelt, welche Art von Literatur Bestand haben wird, nicht vorgreifen. Der Kanonisierung - der akademischen Qualifizierung ihrer Kunst - steht sie gelassen gegenüber: "Ich bin Bühnenpoetin, das mit der Nachwelt ist zwar ein schöner Gedanke, aber eigentlich geht es um das Hier und Jetzt, und ob Bühnen vorhanden sind - das finde ich gar nicht flüchtig! Und was den Kanon betrifft: Ich trete ja an - gegen den Kanon!"

Was ewig währt, wird sich erst weisen. Beim jungen Publikum hat Mieze Medusa ihren Platz jedenfalls bereits gefunden: "Ich habe in einem Text ein Faust-Zitat drinnen, und den hab ich in einer Schulklasse vorgetragen. Da hat eine Schülerin zum Lehrer gesagt: 'Den Text von Mieze Medusa kenne ich schon, aber ich habe ihn nicht ganz verstanden, da geht es um einen Faust, den kenne ich nicht!' Da habe ich gedacht: Siehste, Goethe."

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