Erfolg in der Großstadt suchen

Drei junge Poeten in Wien

Sie kennen einander seit Studienzeiten in Tirol, sind gleich alt und ähnlich vielseitig: sie verfassen Gedichte, Prosaminiaturen, Romane, schreiben Songtexte, komponieren und singen. Vor ein paar Jahren sind sie von Innsbruck nach Wien übersiedelt.

Markus, Doris und Jörg über Wien

Sie kennen einander seit Studienzeiten in Tirol, sind gleich alt (32), und ähnlich vielseitig: Sie verfassen Gedichte, Prosaminiaturen, Romane, schreiben Songtexte, komponieren Musikstücke und singen. Allen dreien ist die Bühne vertraut: Doris Mitterbacher alias Mieze Medusa, Hip-Hop-Aktivistin und Gewinnerin des ProtestSongContests 2007, Jörg Zemmler, als Bandleader der Zweierformation Bob, die dieses Jahr ihre zweite CD herausbringen wird, und Markus Köhle, der gewitzte Interpret seiner Texte.

Vor ein paar Jahren haben sie den Entschluss gefasst, Innsbruck zu verlassen und in die Bundeshauptstadt zu ziehen. Dort sollte ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen, nämlich der, endlich von der Kunst leben zu können. Ihre Eindrücke von Wien waren und sind nach wie vor zwiespältig.

Achtzehnter Brief aus Wien, 10. Mai 2006

Betreff: Baumkreiskrise
Neulich war ich am Himmel. In Wien ist das oberhalb von Grinzing und zwar zwischen Bellevue-Wiese und Baumkreis. Am Himmel aber war kein Platz, das Himmelhäusel voll von Sonntagsspaziergängern und Topfentortenmampfern und die Himmelterrasse im Regen. Im Oktogon, einem Kaffeehaus unweit des Baumkreises, hätte man mir und meinesgleichen gerne Platz gemacht. Dort hatten sich nämlich mehrere Erstkommunionsgesellschaften eingefunden, die sich über jeden unbeteiligten, potenziell Abwechslung verheißenden Erwachsenen gefreut hätten.

Doch dieses polymorphe Holzglaskonstrukt erwies sich umgehend als veritable Vorhölle. Zumal die kleinen Geschwister der Leib-Christi-Frischlinge glorreich um Aufmerksamkeit ritterten, indem sie zum Teil das Festtagsmahl erbrachen oder mit gemeingefährlichem Spielzeug um sich warfen. Die eine oder andere Taufkerze durchquerte unautorisiert den Lokalluftraum und zerschmetterte am schmierigen Boden. Jungmütter machten einen schachmatten Eindruck, Väter bestachen durch solide Betrunkenheit. Ein Furcht einflößender Schäfer-Zerberus kommentierte das Geschehen. Die Luft roch zwar nicht nach Schwefel und Verwesung, setzte sich aber aus einem nicht minder abstoßenden Gemisch aus Babyölodeur, dünner Kinderkacke und frischer Kinderkotze zusammen.

Wir verzichteten auf den Unterschlupf, trotzten dem Platzregen und näherten uns erwartungsvoll dem ominösen Baumkreis. Die für den Tagesausflug Verantwortliche hatte ihre Hausaufgaben gemacht und verblüffte mit Erhellendem. Sie eröffnete uns, dass der 1997 angelegte Kreis aus insgesamt 40 Bäumen für die Verbundenheit von Mensch und dem Lebewesen Baum stünde. Mit geschultem Pathos unterrichtete sie uns, dass Bruder Baum den Inbegriff all dessen darstellte, was Leben bedeutete.

Sie musste uns all dies brüllend vermitteln, denn vor den Holzfreunden erhoben sich soundstarke Tonsäulen aus denen an Sonntagen gnadenlos klassische Musik schallt. In unserem Fall störte eine Mozart-Symphonie in F-Dur. Die zugegeben esoterikanfällige Führerin war aber auch bekennende Mozartianerin, ließ sich demgemäß nicht ablenken und berichtete sichtlich erfreut, dass der Bäume Früchte Gesundheit, Jugend sowie Unsterblichkeit repräsentierten.

Daraufhin ermutigte sie uns, den individuellen Lebensbaum zu suchen. Obwohl ich nicht gedachte, ein engeres Verhältnis mit meinem mir aufgrund des Geburtsdatums zugewiesenen grünen Knaben – der Ulme- aufzubauen, ich weder das Bedürfnis hatte, dessen ohnehin noch recht kläglichen Stamm zu umarmen oder zu markieren, noch ein Gespräch mit Bruder Ulme zu führen, war ich denn doch ein wenig enttäuscht, lesen zu müssen, dass man Ulmen häufig mit Linden verwechsle und, dass eine grassierende Ulmenkrankheit die gute Ulme seit etwa 100 Jahren bedrohe. (...)

Ich war tatsächlich ergriffen und es gelang mir nicht, positive Energie aus dieser Information zu ziehen. "Von wegen waldpädagogischer Erlebnisplatz, Paperlapappel!", resümierte ich empört und gesellte mich freiwillig zu den mittlerweile Schnaps trinkenden Erstkommunionskindsvätern im Okotogen. Deren Krawatten waren bereits ähnlich versaut wie die Gesprächsthemen (nein, nicht sexistisch, nur unsagbar banal). Ich fand gleich neuen Lebensmut und diskutierte angeregt mit, nahm mir jedoch vor, später schon noch auf die Bellevue-Wiese zu gehen. Vielleicht, so hoffte ich insgeheim, ist dieser Aussichtspunkt ja im Stande, auch in meinem Hirn ähnlich bedeutende Horizonte zu eröffnen, wie er es seinerzeit in Sigmund Freuds Kopf getan hat.

Man wird wohl noch träumen dürfen?

Man darf immer träumen.

Text: Markus Köhle, Jahrgang 1975, Autor und Musiker

Dieses alte Wien...

... bastelt gerade neue Wolkenkratzer,
macht mobil mit Clubkultur sowie mit Austropop
gepaart mit Drogenlastern.
Was ja für sich schon unterhaltsam ist!
In meinem Clubausweis steht nichts von einem
Naseweis,
da das Inkognito noch haltbar ist.
Ich bin hier eine von vielen, weil es jetzt endlich
eine Szene gibt.
Ich bin hier heimisch und real,
versteh, dass Gas geben und zur Ruhe kommen
möglich ist,
auch wenn - wie ich - die Frau nur zugezogen und trotzdem Wiener Zögling ist.
Komm doch ins rhiz, wenn wieder Texte strömen:
Slamkultur und Dichterstreit und Competition, die
olympisch ist:
dabei sein bis dem Publikum die Ohren dröhnen
und der Applaus nicht mehr zu toppen ist.
Was kümmert's mich, wenn hier der Scherz etwas
morbide ist?
Was schert mich dieser fiese Grantscherm nebenan,
der sich beschwert,
wenn ich die Verse über viel zu laute Bässe kick?
Dafür gibt's Oropax!
Und eine Flasche Wein Bestechungsgeld für nächteweise
ruhig gestellte Nachbarschaft.

Text: Doris Mitterbacher, alias mieze medusa, Jahrgang 1975, Rapperin und Autorin

Ich an Wien und Wien und ich

Wien, Wien, Wien,
mayday, mayday, Wien:
was gibt es
außer Wien
in Wien
denn noch?
- besten Gruß und dringend -
ich.

Text: Jörg Zemmler, Jahrgang 1975, Autor und Musiker

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 29. Juni 2007, 22:15 Uhr

Buch-Tipp
Markus Köhle, "Riesenradschlag. 25 Briefe aus Wien", edition 20er, ISBN 3901015299

CD-Tipp
mieze medusa & Markus Köhle, "Sprechknoten. spoken word, performance & slam poetry", Sisyphus, ISBN 3901960376

Links
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mieze medusa
Jörg Zemmler