Beispiel "Alpis"

Griechisches Kino zur Krise

Das griechische Kino mag zwar so pleite sein wie der Staat, schlägt aus der Krise aber künstlerisches Kapital. Ein Beispiel für dieses neue griechische Kino ist der Regisseur Yorgos Lanthimos. Für sein aktuelles Werk "Alpis" wurde er bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Kulturjournal, 21.10.2011

"Das Ende kann ein besserer Neuanfang sein." Was im Film eine Krankenschwester zu den Eltern sagt, die gerade ihre Tochter verloren haben, klingt wie eine düstere Metapher für ein Land, das seit Monaten vor dem finanziellen Kollaps steht. Und wenn ebendiese Krankenschwester wenig später ihren Kollegen erzählt, dass das Mädchen außer Lebensgefahr sei, so bleibt das bloß als Notiz im Raum stehen. Wie die permanenten Beschwichtigungen der Politik, von der abgewandten Pleite.

Die Krise kommt in "Alpis" zwar nie direkt zur Sprache, aber in den Dialogen, der Handlung und den Bildern schwingt sie permanent mit. Dabei habe er anfangs nicht spezifisch an Griechenland gedacht, so Regisseur Yorgos Lanthimos. Aber die Realität habe die Metaphorik des Films gewissermaßen eingeholt. Denn natürlich sei Geld ein zentrales Thema im Film, so Lanthimos weiter. Der Vergleich mit der aktuellen Situation eines Großteils der griechischen Bevölkerung einladend.

Die Stellvertreter

Im Zentrum von "Alpis" stehen vier Menschen, die auf eigenwillige Weise versuchen, Geld dazuzuverdienen: Eine Krankenschwester, ein Sanitäter, eine Turnerin und ihr Trainer bieten die Vertretung von Verstorbenen als Dienstleistung an. Spielen für die Zurückgebliebenen die Tochter, den Freund, die Geliebte.

Ihre Gruppe nennen sie "Alpis" - die Alpen. Ein großes Symbol, heißt es im Film: Unverwechselbar, nicht austauschbar. Alles andere wäre kleiner. Sie schlüpfen in eine skurrile Stellvertreterrolle. Versuchen eine Leere aufzufüllen, und leben so zugleich ein Leben, wie sie es selbst nicht haben, aber gerne hätten. Flüchten in eine Welt, die nicht die ihre ist, so Yorgos Lanthimos.

Radikal eigenwillig

Sex, Streit, Streicheleinheiten. Ein Lügengerüst. "Alpis" ist in jeglicher Hinsicht ein radikal eigenwilliger Film. Eigenwillig, wie auch das junge griechische Kino, das langsam aus den Schatten der großen Meister wie Michael Cacoyannis und Theo Angelopoulos herauszuwachsen beginnt. Unter schlechten Ausbildungsmöglichkeiten und mangelnder Finanzierung leide. Zugleich aber immer individueller und unangepasster werde, so Lanthimos.

"Was uns eint, ist die Krise", meinte gar die griechische Filmemacherin Rachel Athina Tsangari unlängst in einem Interview. Letztes Jahr war sie mit ihrem gefeierten Film "Attenberg" auf der Viennale zu sehen, und sie ist die Produzentin von "Alpis". Die Krise habe das Kino längst erreicht, so Tsangari, aber sie sei optimistisch. Filmemacher müssten nun neue Wege der Finanzierung abseits staatlicher Förderungen suchen. Sie machen so kleinere, aber umso wichtigere Filme.

Irgendwann versucht sich die Tänzerin in "Alpis" zu erhängen. Die Krankenschwester bemerkt es, will einen Stuhl unterstellen, doch die Sitzfläche fehlt. "Alpis" ist eine große Metapher. Poetisch und spannend zugleich. Für den Zuschauer aber nicht immer leicht verständlich, wie auch so vieles außerhalb des Kinos.

service

"Alpis" ist am Freitag, 21. Oktober 2011, im Rahmen der Viennale im Wiener Gartenbaukino und am Sonntag, 23. Oktober 2011, im Künstlerhauskino zu sehen.

Viennale - Alpis