Regisseur mit Hang zu Brutalität

Nicolas Winding Refn

Irgendwie kam er aus dem Nichts. Zumindest für Hollywood und seine Trend-Scouts. Interessierte Beobachter des europäischen Filmschaffens kannten sie natürlich schon längst, die Filme des Dänen Nicolas Winding Refn. Mit ihrem unbändigen Stilwillen und unkonventionellen Charakteren erobern sie sich schon Mitte der 1990er Jahre eine treue Fanbasis.

Die rekrutiert sich allerdings vorwiegend aus Kommerzkinogängern und Videothekenbesuchern. Von etablierten Filmfestivals wird Nicolas Winding Refns Kino bewusst ignoriert, vielleicht auch übersehen. Vielen erscheinen seine minimalistischen Genreentwürfe als zu kommerziell ausgerichtet, um den selbst auferlegten Kunstansprüchen zu genügen.

Mittlerweile sieht die Situation natürlich ganz anders aus: Die jüngste Arbeit des Dänen, der Rachethriller "Drive", feierte im vergangenen Mai im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes seine Weltpremiere. Die Kritiker nahmen den Film begeistert auf; Nicolas Winding Refn wurde mit der Silbernen Palme als bester Regisseur geehrt.

So was wie Zuneigung

Es könnte Liebe sein. Ein Gefühl, das den stoischen Driver überrascht. Tag und Nacht arbeitet und lebt er mit seinem Auto. Er erledigt Stunts für Hollywoodfilme, ist Fluchtwagenfahrer bei Überfällen und jobbt als Mechaniker in einer Werkstatt.

Driver spricht nicht viel, reduziert Zwischenmenschliches ohnehin auf ein Minimum. Aber seine Nachbarin Irene knackt diese Schale. Ihr Mann sitzt im Gefängnis, gemeinsam mit ihrem Sohn kommt sie gerade noch so über die Runden. Zwischen den beiden entwickelt sich etwas. Zuneigung ganz sicher. Liebe vielleicht. Dann wird Irenes Mann aus dem Gefängnis entlassen.

Um seine Schulden bei einem albanischen Unterwelt-Boss begleichen zu können, willigt Driver ein, ihm bei einem Überfall zu helfen. Er macht es für Irene und ihren Sohn; damit sie in Sicherheit leben können. Aber natürlich geht alles schief: Schüsse fallen, Menschen sterben. Und plötzlich ist Driver mittendrin in einem Komplott, aus dem es nur einen Ausweg gibt. Und der ist gepflastert mit Leichen.

Eigenes Universum

An den chilenischen Kino-Revoluzzer Alejandro Jodorowsky habe er bei der Arbeit an diesem Film gedacht, sagt Nicolas Winding Refn. In den 1970er Jahren begründen dessen bildgewaltige, halluzinierende Arbeiten wie "El Topo" und "The Holy Mountain" die sogenannte "Midnight Movie"-Kultur: wilde Kino-Happenings, bei denen Hunderte Menschen die ganze Nacht im Kino zubringen, um Filme zu sehen, die das offizielle Hollywood nicht haben wollte.

Logik und Vernunft spielen weder bei Alejandro Jodorowsky noch bei Nicolas Winding Refn eine Rolle, die Arbeiten des Dänen existieren in einem ästhetischen Universum, das alle Berührungspunkte mit außerfilmischen Wirklichkeiten eliminiert. Aus Musikteppichen, extrem stilisierten Bildern und verfremdetem Schauspiel entsteht ein hoch artifizielles Erlebnis, das sich ganz und gar der sinnlichen Macht des Mediums verschrieben hat.

Überraschungserfolg "Pusher"

Refn entwickelt seinen Stil bereits seit mehr als 15 Jahren: 1996 wird sein Gangsterfilm "Pusher" zu einem Überraschungserfolg. Die Geschichten aus der Kopenhagener Unterwelt formuliert er mit viel Brutalität und Straßendreck. Das Resultat begründet nicht nur Refns Karriere, sondern auch die seines Stars Mads Mikkelsen.

Um Männlichkeit und Gewalt geht es in allen Filmen von Nicolas Winding Refn. Genauer gesagt um die Konstruktionen von Männlichkeit und Gewalt. Der Däne ist nicht nur ein großartiger Action- und Spannungsregisseur, seine Filme atmen auch eine thematische Freiheit, von denen Hollywood nur träumen kann. Scheinbar mühelos gelingt es ihm, die extremen Gewaltausbrüche seiner Figuren neu zu kontextualisieren, bis sie letzten Endes fast wie eine eigene Sprache, eine eigene Form von Kommunikation wirken.

Der Reiz der Leinwandgewalt

Im Gegensatz zu vielen anderen Filmemachern gibt sich Refn voll und ganz dem gefährlichen Reiz der Leinwandgewalt hin: Weder wird deren Wucht und eigenartige Schönheit relativiert, noch grundiert er sie mit postmoderner Referenzwut wie etwa Quentin Tarantino. Sie liegt einfach in aller Widersprüchlichkeit vor dem Zuschauer.

In keinem seiner Filme hat Refn diesen Aspekt seines Werks klarer heraus gearbeitet als in "Bronson". Basierend auf dem Leben des britischen Verbrechers Charles Bronson, zeichnet der Däne ihn als emotional verkrüppelten, aber auch sehr feinfühligen und kreativen Menschen. Die inneren Dämonen, die ihn zu seinen Gewaltausbrüchen antreiben, sind dieselben, die Künstler antreiben. Am Ende verbarrikadiert sich Bronson in einem Gefängnisraum und malt um sein Leben.

Tag und Nacht am Set

Kunst und Gewalt sind Daseinszwecke: Den Wikingerfilm "Valhalla Rising" dreht Nicolas Winding Refn gleichzeitig mit "Bronson". Tagsüber ist er auf dem einen Set, nachts auf dem anderen. Kein Wunder also, dass sich die beiden Filme wie Zwillinge ausnehmen. Auch "Valhalla Rising" erzählt von einem Mann, für den Gewalt das einzige Ausdrucksmittel ist.

Der einäugige Krieger wird von Kreuzrittern eingefangen und auf eine Reise gen gelobtes Land verschleppt. Refn lässt die gezeichneten Gesichter seiner Männer erzählen und rahmt sie in immer abstrakter werdenden Bildern ein. Das auf dem Meer durch den ewigen Nebel treibende Schiff, blutrote Höllenvisionen, die sich durch das ewige Braunbeige der Landschaft schieben, die Selbstauslöschung auf dem neuen Kontinent. Nicolas Winding Refns Kino ist hermetisch abgeriegelt, scheint unbezwingbar für Interpretationen. Ihn interessieren das tatsächliche Phänomen und die Auseinandersetzung damit. Sein Kino ist zuerst einmal Gefühl, dann erst Gedanke. Ein Schock für den Intellekt.

Die Ausnahme von der Regel

Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Jungregisseuren hat Refn sich nicht verbiegen lassen. "Drive" ist zwar sein erster Hollywoodfilm, aber alles andere als aufgeweicht. Das Publikum dankt es ihm: In den USA wird "Drive" kultisch verehrt, ganze Gruppen von Kinogängern pilgern immer und immer wieder in Refns Universum, können gar nicht genug bekommen. In einer Filmindustrie, die von Remakes und Sequels dominiert wird, ist der Däne ein glücklicher Ausnahmefall. Die Ausnahme von der Regel. Ein Leidenschaftstäter. Wie "Driver", der gegen die Gauner kämpft. Und am Ende siegt immer die Liebe.