Schreiben in Fremdsprache
Chamisso-Preis an Michael Stavaric
Der Chamisso-Preis geht Jahr für Jahr an deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit nicht-deutscher Muttersprache. Zu den Preisträgern bisher zählten Rafik Schami, Terezia Mora und Feridun Zaimoglu. Dotiert ist der Chamisso-Preis mit 15.000 Euro. Nun wird der Schriftsteller Michael Stavaric am 1. März 2012 ausgezeichnet.
8. April 2017, 21:58
Mit seinem Roman "Brenntage" habe der in Österreich lebende gebürtige Tscheche die "deutschsprachige Gegenwartsliteratur auf sprachlich originelle Weise bereichert", heißt es in der Jurybegründung.
Kulturjournal, 27.02.2012
Der Anfang war hart. Michael Stavaric, geboren 1972 im tschechischen Brünn, kam mit sieben Jahren nach Österreich, zusammen mit seiner Familie. Die Stavarics ließen sich in Laa an der Thaya nieder, der 6000 Einwohner zählenden Perle des Weinviertels, direkt an der tschechisch-österreichischen Grenze.
"Meine Beziehung zur deutschen Sprache war natürlich geprägt von Krisen, da ich kein Wort Deutsch konnte, als meine Familie nach Österreich kam", erinnert sich Michael Stavaric. "Ich war dann der erste, der das auf einem gewissen Niveau relativ schnell erlernen musste, weil ich in die Schule gehen musste und dort eine tägliche Interaktion mit anderen Kindern stattfand."
Michal Stavaric ist ein Beispiel für "geglückte Integration", keine Frage. Er absolvierte Schule und Studium, mit 28 publizierte er seinen ersten Gedichtband, und mit 34, nach mehreren Übersetzungen aus dem Tschechischen, veröffentlichte er seinen ersten Roman in deutscher Sprache: "Stillborn".
"In der Tat ist das Deutsche für mich eine erste Muttersprache geworden", sagt Stavaric. "Das Tschechische mag ich sehr gern, aber durch die intensive Auseinandersetzung mit deutschsprachiger Literatur ist eindeutig Deutsch meine Muttersprache geworden."
Freude am "Experiment"
Fünf Romane hat Michael Stavaric bisher auf Deutsch veröffentlicht, und alle haben sie die Kritik polarisiert. Für die einen sind Stavarcis Bücher "unlesbar" - der Autor wolle sich auf Teufel komm raus als Avantgardeliterat profilieren und artikuliere sich in einer unverdaulichen "Holperschreibe", urteilte ein Rezensent der "Neuen Zürcher Zeitung". Für die anderen ist Stavaric eines der herausragenden Talente der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, ein origineller Prosaist, der die Syntax des Deutschen anders auffasse als andere Autoren. Als "experimenteller Autor" sieht sich Michael Stavaric dennoch nicht:
"Experimentell, dieses Wort darf man ja heute nicht mehr in den Mund nehmen, sonst findet man nie wieder einen Verlag. Sobald ein Verlag 'Experiment' hört, ist das Projekt schon gelaufen. Das ist schade, denn, um zu Chamisso zurückzukehren, gerade auch jene Autoren, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, bringen Elemente ins Deutsche hinein, die die Sprache irgendwie erneuern oder hinterfragen oder herausfordern. Und das alles sind Momente, die auch dem traditionellen Erzählen widersprechen."
Keine eingängigen Plots
Ein Roman, dessen Handlung man nacherzählen könne, sei nichts wert, postuliert Michael Stavaric immer wieder, in Anlehnung an seinen Landsmann Milan Kundera. Er habe zwar nichts gegen konventionell erzählte Literatur, behauptet der Autor, aber: "Mir kommt vor, dass diese traditionellen Erzählformen ein viel zu starkes Übergewicht bekommen haben in den letzten zehn, zwanzig Jahren."
Auf dem Buchmarkt zählt fast nur noch, was sich in eingängige Plots packen lässt, beklagt Stavaric: "Ich finde, viele dieser linear erzählten Texte stellen sich selbst ein bisschen außerhalb der Gegenwart, in der wir leben. Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung."
Mit seinem sprachspielerisch-avantgardistischen Ansatz sieht sich Michael Stavaric in einer österreichischen Literatur-Tradition: "Ja, ich möchte mich absolut als österreichischer Autor sehen. Gerade, wenn man in Deutschland unterwegs ist, wird man immer wieder gefragt, als was man sich versteht. Beziehungsweise, mir kommt vor, die Deutschen nehmen einen dann automatisch eher als Tschechen wahr, weil sie das auch für politisch korrekter halten, aber ich bin durch und durch Österreicher. Und gerade auch, was die Literatur angeht, so ist mir die österreichische Literatur sehr nahe. Der junge Handke, der Ransmayr, der Hans Lebert, die Ingeborg Bachmann – da bin ich schon sehr sozialisiert mit diesen Leuten. Ich bin durch und durch ein österreichischer Autor."
Dabei ist der Chamisso-Preisträger des Jahres 2012 in der Schule in Deutsch bis zum Abitur nie über ein "Befriedigend" hinausgekommen.