Interview mit Jeremy Renner

Die Hauptrolle im sechsfach Oscar-prämierten Irakkriegsdrama "The Hurt Locker" hat Jeremy Renner bekannt gemacht. Jetzt spielt er in "Das Bourne Vermächtnis" den Agenten Aaron Cross, der von seinem eigenen Geheimdienst um die halbe Welt gejagt wird.

Kulturjournal, 11.9.2012

Wolfgang Popp: Es ist eine ganz besondere Form der Übermenschlichkeit, die dieser Aaron Cross verkörpert. Einerseits funktioniert er perfekt wie eine Maschine, andererseits ist er verletzlich, weil er wie ein Junkie von seinen Tabletten abhängig ist, um seine besonderen Fähigkeiten auch behalten zu können. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Jeremy Renner: Ich habe ihn nie als Junkie gesehen. Für mich war er einfach jemand, der versucht, zu überleben. Das stand für mich im Zentrum. Diese Figur wird emotional gehörig durcheinandergewirbelt. Das ist seine Schwäche, für mich war aber genau das der interessante Aspekt an ihr. Sonst wäre er nicht viel mehr als ein Terminator, eine Figur also, die für das Publikum kaum zugänglich ist. Es waren also gerade seine Schwächen, die mir am wichtigsten waren.

Nach Ihren Rollen in "Mission: Impossible", "The Avengers" und jetzt im "Bourne-Vermächtnis", betrachten Sie sich da als Action-Helden?
Nein, überhaupt nicht. Das hat sich einfach so ergeben. Die Rolle des Aaron Cross hätte ich aber nicht hinbekommen, wenn das "Bourne-Vermächtnis" mein erster Action-Film gewesen wäre.

Gibt es ein Film-Genre, das Sie verweigern?
Das Genre ist mir egal, solange die Figuren vielschichtig und die Geschichte nachvollziehbar ist. Solange es da eine Wahrhaftigkeit gibt, interessiert mich der Film. Wenn die Helden Schwächen haben und die Bösewichte auch sympathische Züge tragen oder ihre Beweggründe zumindest nachvollziehbar sind, dann spiele ich gerne mit. Es geht mir da um eine Shakespear'sche Erzählweise, die es aber auch schon in der griechischen Mythologie gegeben hat. Bei solchen Geschichten will ich dabei sein.

Wie hat sich eigentlich Ihre Karriere entwickelt, bevor Sie mit "The Hurt Locker" Ihren Durchbruch geschafft haben?
Mir kommt es vor, als hätte die Vorbereitung auf diesen Karrieresprung eine ganze Weile gedauert. Mein Selbstvertrauen habe ich eigentlich bei einem Theaterstück gewonnen, das ich 1998 gemeinsam mit einem Freund inszeniert habe und danach noch bei meiner Hauptrolle in einem Biopic, als ich den Serienmörder Jeffrey Dahmer darstellte. Das waren für mich persönlich zwei große Meilensteine und danach fühlte ich mich für alles bereit. Das heißt nicht, dass ich auch wirklich imstande gewesen wäre, alles zu spielen, aber ich habe mich damals so gefühlt.

Haben Sie jemals daran gedacht, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen?
Nie. Die Schauspielerei habe ich mit 19 für mich entdeckt und gleich gewusst, dass ich das für den Rest meines Lebens machen will. Ich habe dann auch überhaupt keine Gedanken mehr an irgendeine Alternative verschwendet und bin zum Glück schnell zu meinen ersten Engagements gekommen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn ich eine 20-jährige Durststrecke hätte durchstehen müssen, hätte ich mir das Ganze wahrscheinlich noch einmal überlegt. Aber ich habe schon eineinhalb Jahre, nachdem ich nach Los Angeles übersiedelt bin, meine erste Rolle bekommen. Das war zwar ein ziemlich dummer Film, für mich bedeutete es aber einen ganz großen Schritt. Denn damit war ich ein Schauspieler mit einem Engagement und gehörte damit zu dem ganz kleinen Kreis Auserwählter. Denn tatsächlich haben nur zwei Prozent aller Schauspieler auch Arbeit. Der Gedanke, mit der Schauspielerei aufzuhören ist mir also nie gekommen.

Sie machen auch Musik, spielen und komponieren selbst. Hat die Musik in irgendeiner Weise ihre Schauspielerei beeinflusst?
Gerade in den Kampfszenen spielt etwa der Rhythmus eine wichtige Rolle. Das ist ja oft fast wie ein Tanz. Mit Musik bereite ich mich aber auch auf meine Rollen vor. Ich stelle mir für jede Figur eine Liste mit Songs zusammen, die mir helfen, mich in deren emotionalen Zustand hineinzuversetzen. Bei "Bourne" waren das Nummern, die mir das Adrenalin ins Blut gejagt haben, oder andere, die mich einfach glücklich gemacht haben. Die Songs können aus allen Genres kommen. Von The Muse über AC/DC bis zu Frank Sinatra. Es ist ja kaum möglich, Sinatra zu hören und dabei schlecht drauf zu sein.

Haben Sie eigentlich die Bourne-Romane von Robert Ludlum gelesen?
Nein. Ich lese keine Belletristik. Weil ich keine Zeit habe und außerdem sehr langsam lese. Ich bin ein sehr aktiver Mensch und deshalb fällt es mir schwer, mich ruhig mit einem Buch hinzusetzen. Aber ich lese Sachbücher zur Weiterbildung.

Welche Sachbücher haben Sie gelesen, um sich auf das "Bourne-Vermächtnis" vorzubereiten. Da werden ja sehr aktuelle Themen verhandelt wie etwa Hirndoping?
Da habe ich wenig darüber gelesen, weil ich nicht mehr als mein Aaron Cross über das Thema wissen wollte. Aber Regisseur Tony Gilroy und Rachel Weisz, die ja eine Wissenschaftlerin spielt, haben sich wirklich intensiv mit diesen Dingen beschäftigt.