King's-Speech-Autor im Interview

"Eine sehr persönliche Geschichte"

Zur Premiere seines Stücks "The King's Speech" in den Kammerspielen ist Oscar-Preisträger David Seidler (75) zum ersten Mal in seinem Leben nach Wien gereist. Die APA traf den in London geborenen Theater- und Drehbuchautor als erstes österreichisches Medium unmittelbar nach seiner Ankunft zum Interview. Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang.

Huber-Lang: Sie sind mit Ihrem Film über den stotternden König George VI. berühmt geworden. Wer von den heutigen Mitgliedern des britischen Königshauses könnte Sie denn als Autor am meisten interessieren?

Seidler: Als Autor finde ich Prinz Charles am interessantesten. Ein sehr komplexer Charakter, nicht dumm, aber offenbar ziemlich exzentrisch. Für mich besonders spannend ist: Der Vorfahre, mit dem er sich am meisten identifiziert, ist George III. (1738-1820, Anm.) - und genau über den schreibe ich gerade eine TV-Serie mit dem Titel "Kill George Washington". Es ist die Geschichte von George Washington und der Amerikanischen Revolution aus britischer Sicht. Vor vielen Jahren habe ich einmal Prinz Charles getroffen, als ich politischer Berater des Premierministers von Fidschi war. Charles erster offizieller öffentlicher Auftritt war bei den Unabhängigkeitsfeiern von Fidschi. Das ist nun über 40 Jahre her. Seither wartet er auf der Seitenbühne auf sein Stichwort, was eine sehr interessante Konstellation ist. Irgendwann wird jemand ein tolles Stück über ihn schreiben - aber das werde nicht ich sein.

In Ihrer "Writer's Speech" bei der Entgegennahme des Oscars für Ihr Drehbuch von "The King's Speech" haben Sie gesagt, dass Sie den Preis stellvertretend für alle Stotterer in der Welt entgegennehmen. Es scheint auch eine ganz persönliche Geschichte

Ja, es ist eine sehr, sehr persönliche Geschichte. Ich habe aber nie damit gerechnet, je jemanden zu finden, der sich für mich und meine eigene Geschichte interessieren würde - herauszufinden, warum das so ist, dafür wäre Wien, die Heimatstadt Sigmund Freuds, vermutlich der ideale Ort. Meine einzige Möglichkeit, eine persönliche Geschichte zu schreiben, war, sie zu tarnen. Und dafür war natürlich die Geschichte von Bertie, dem königlichen Stotterer, ideal. Der Grund, warum ich das bei den Oscars so gesagt habe, ist: Ich halte relativ viele Reden vor Stotterer-Selbsthilfegruppen und Redetherapie-Gruppen. Ich stelle mich immer so vor: "Mein Name ist David Seidler. Ich bin Stotterer." Denn ich fühle mich ihnen noch immer sehr verbunden. Sie hören mich zwar nicht stottern, aber ich stottere dennoch. Häufig fühle ich beim Reden eine Blockade kommen, weiß aber mittlerweile automatisch, wie ich damit umzugehen habe. Ich kenne alle Tricks. Innerlich stottere ich aber nach wie vor. Deswegen möchte ich diese Gruppe so gut wie möglich unterstützen. Falls Sie jemals wiedergeboren werden und nochmals eine Kindheit erleben können: Melden Sie sich nicht freiwillig als Stotterer! Es ist nicht sehr lustig.

Bei Ihnen hat das Stottern begonnen, als Sie im Zweiten Weltkrieg mit einem Schiff von London nach New York evakuiert wurden?

Ja, meist beginnt man im Alter zwischen drei und vier Jahren zu stottern. Als Erwachsener ist es meist das Resultat von dramatischen Ereignissen, eines Schocks, einer Kriegsneurose. Natürlich hatte mein Stottern viele Ursachen - ich wurde aus einer britischen Middle-Class-Familie herausgerissen, wir waren unter dramatischen Umständen auf diesem Schiff, die Männer mussten nach U-Booten Ausschau halten. Als wir in New York ankamen, stotterte ich.

King George VI. wurde für Sie so etwas wie ein Vorbild?

Sobald ich alt genug war, zu verstehen, was beim Stottern mit mir vorging, haben mich meine Eltern dazu angehalten, am Radio seine Reden zu hören. Sie haben gesagt: "Hör ihm zu! Er war viel schlechter als Du und jetzt ist er zwar nicht perfekt, aber er kann dennoch tolle Reden halten. Es gibt also Hoffnung für Dich." Ich bin mit großer Bewunderung für ihn aufgewachsen. Als ich meine Karriere als Autor begonnen habe, hatte ich immer im Hinterkopf, eines Tages über ihn schreiben zu wollen.

Was war dann der konkrete Beginn der Arbeit?

Ich habe mich schon auf der Cornell University mit seinem Leben beschäftigt, aber seine offizielle Biografie war trocken wie die Sahara. Ich habe das dann nicht sehr verfolgt. Viel später habe ich die Arbeit bei einem Dramatiker-Workshop wieder aufgenommen. Wieder habe ich es gelassen - schon wieder waren Frauen daran schuld, die mehr Zeit in Anspruch genommen haben. Als ich dann mit 40 in Hollywood angekommen bin und "Tucker" für Francis Ford Coppola geschrieben habe, dachte ich, jetzt müsste ich was Seriöses machen. Und da habe ich mir das alte Projekt wieder vorgenommen und bin auf den australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue gestoßen. Ich habe dann Kontakt mit seinem Sohn aufgenommen, der sehr nett war und gemeint hat, er würde gerne mit mir reden, es gebe auch noch die Notizbücher seines Vaters aus der Zeit - "aber Sie müssen die schriftliche Erlaubnis der Queen Mother haben". Also habe ich ihr brav geschrieben. Das war der Moment, wo meine amerikanischen Freunde draufgekommen sind, dass ich wirklich Brite bin.

Haben Sie tatsächlich eine Antwort erwartet?

Ich habe auch eine bekommen. In einem wunderschönen Briefumschlag mit einem riesigen Siegel drauf. Sie hat geschrieben: "Bitte, Herr Seidler, nicht zu meinen Lebzeiten! Die Erinnerungen an diese Ereignisse sind noch zu schmerzhaft." Ich dachte, ok, ich kann die paar Jahre warten. Die Queen Mum war ja schon eine hochbetagte Frau. Nun: Ihren letzten Gin and Tonic hatte sie erst 25 Jahre später. Sie hat erst mit 103 das Zeitliche gesegnet. Da hatte ich aber gerade andere Projekte fertigzustellen. Als ich später eine lebensbedrohliche Krebserkrankung überwunden hatte, wollte ich mich wieder in Arbeit stürzen und habe mir gesagt: "Nun, David, auf was willst Du noch warten, um Berties Geschichte zu erzählen? Bald könnte es zu spät sein." Das ist jetzt sieben Jahre her. Ich bin total wiederhergestellt und mein Arzt hat mir gesagt, ich müsste mich nach etwas anderem umschauen, an dem ich sterben möchte.

War das Stück "The King's Speech" eine Fingerübung für das spätere Drehbuch?

Nicht ganz. Ich habe es als Drehbuch begonnen. Nach 70 Seiten habe ich es meiner damaligen Frau gezeigt und sie hat auf sehr diplomatische Weise gemeint, es sei zwar sehr hübsch, aber noch ziemlich diffus. Ob ich es nicht als Schreibübung mit einem Theaterstück probieren wollte - denn die Beschränkungen der Bühne zwingen dazu, dich auf die zentralen Dinge zu konzentrieren. "The King's Speech" ist ja tatsächlich vor allem eine Konstellation: Zwei Männer in einem Zimmer. Also habe ich in sechs Wochen das Stück geschrieben. Und als ich das dann herumgezeigt habe, hieß es: Hey, das würde einen guten Film abgeben. Und so hat das Ganze begonnen. Aber es war gar nicht einfach. Was schließlich das Ganze endgültig ins Rollen gebracht hat, war die Zusage von Geoffrey Rush, den ich immer in der Rolle von Lionel Logue gesehen habe. Und sobald wir die Oscars bekommen hatten, hat sich plötzlich jeder für das Stück interessiert. Wir haben für die Uraufführung in London tolle Kritiken bekommen, es gab eine ausverkaufte Tour und wird noch eine weitere geben. Auch eine Broadway-Produktion ist in Planung.