Tschetschene abgeschoben - verhaftet

Wer Asyl braucht in Österreich, bekommt es auch, lautet die Verteidigung der heimischen Asylpolitik. Wer in seiner Heimat nicht sicher sei, der dürfe bleiben. Die Wirklichkeit sieht so aus: Ein Tschetschene wird vorige Woche nach Russland abgeschoben. Auf dem Flughafen in Moskau wartet schon die Polizei und verhaftet den Mann. Seither hat seine Familie nichts mehr von ihm gehört.

Morgenjournal, 5.12.2012

Fahndung vier Jahre nach Flucht

"Sind Sie Herr I.? Wir haben sie schon erwartet!" Mit diesen Worten wurde ein Flüchtling nach seiner Abschiebung aus Wien nach Moskau am Flughafen von der Polizei begrüßt und festgenommen. Seither fehlt von ihm jede Spur. I. war mit seiner Familie im Jahr 2007 aus Tschetschenien geflüchtet, weil er, wie er damals angab, vom Regime des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow politisch verfolgt werde. Die österreichischen Behörden schenkten dem keinen Glauben und setzten ihn letzte Woche ins Flugzeug nach Moskau.

Was weder er noch das österreichische Innenministerium wussten: I. stand in Russland auf der Fahndungsliste. Und zwar wegen eines mutmaßlichen Autodiebstahls. Eingetragen wurde die Fahndung im Jänner 2012, also vier Jahre nach seiner Flucht. Hier sei etwas faul, kommentiert die bekannte russische Menschenrechtlerin Svetlana Gannuschkina von der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial. Politische Gegner würden in Russland oft wegen angeblicher Straftaten verfolgt: "Nur dass man auf einer Fahndungsliste steht, heißt nicht dass man ein Verbrechen begangen hat. Sehr viele dieser Vorwürfe sind fabriziert, erfunden. Ich habe inzwischen fast den Eindruck dass es mehr erfundene als echte Fahndungen gibt und das betrifft besonders Tschetschenen."

Auslieferung statt Abschiebung

Im Österreichischen Innenministerium heißt es dazu: Die Fahndung sei nicht bekannt gewesen, man habe selbst erst bei der Landung in Moskau davon erfahren. Das spricht nicht für eine sorgfältige Vorbereitung. Um den Eintrag auf der russischen Fahndungsliste zu finden reicht es nämlich, den Namen des Mannes in Google einzugeben. Der Ehefrau und die beiden Kinder des Mannes, die auch letzte Woche abgeschoben wurden, ist es bis jetzt nicht gelungen, zu ihm Kontakt herzustellen. Auf Anfrage des Ö1-Morgenjournals beim russischen Innenministerium gab es ebenfalls keine Antwort. Für Gannuschkina wirft das Vorgehen der österreichischen Behörden viele Fragen auf: "Die Behörden hätten genauer klären müssen, ob es eine Grundlage dafür gibt, ihn auszuliefern. Denn hier geht es ja nicht mehr um eine Abschiebung, sondern um eine Auslieferung, und das ist eine viel ernstere Sache, die viel genauer geprüft werden muss."

Wurde es nicht. Denn die Österreichischen Behörden wussten ja gar nicht, dass es einen Haftbefehl gibt, konnten ihn daher auch nicht prüfen. Die Frau und die beiden Kinder trauen sich auf jeden Fall nicht in ihre alte Heimat im Kaukasus zurück, sie sind irgendwo in Russland untergetaucht. Denn von Ruhe ist die Region weit entfernt. Laut offiziellen Angaben des russischen Innenministeriums sind bei Kämpfen und Anschlägen im russischen Kaukasus allein im letzten Jahr 1.033 Menschen ums Leben gekommen.

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