Die Walküren: Schicksalsgöttinnen

Die Figur der Walküre stammt aus der nordischen Mythologie (u.a. der isländischen "Edda" des 13. Jahrhundert). Es sind Schicksalsgöttinnen (Schicksalsfrauen), auch "Fylgja" genannt, die das Leben eines Menschen von der Geburt bis zum Tod lenken.

In Verbindung mit der Walhall-Idee begleiten die Walküren die Menschen in den Tod bzw. in Odins (auch: Wotans) Halle und bleiben auch hier seine Partnerin. Wagner greift diese Walhall-Idee auf. In seinem "Ring" ist Walhall Wotans Burg und Sammelstätte, an der die in der Schlacht gefallenen tapferen Helden als eine Art Edelgarde Wotans gesammelt werden.

Von den Walküren werden sie am Schlachtfeld ausgesucht und nach Walhall gebracht, hier von ihnen bewirtet und in manchen Quellen auch zum Liebhaber der Walküren. Nicht so bei Wagner.

Er lässt Wotan am Ende des "Rheingoldes" (dem Vorabend des dreitägigen "Rings") den Plan fassen, dass Helden, die im Kampf gefallen sind, von den neun Walküren, Wotans Töchtern, auf die Burg Walhall gebracht werden sollen, um ihm hier zur Seite zu stehen, falls Alberich, der zuvor das Rheingold gestohlen und sich jenen endlose Macht verleihenden Ring geschmiedet hatte (eben den "Ring des Nibelungen"), jemals einen Angriff auf die Herrschaft der Götter unternehmen sollte. Das ist der Hintergrund jener berühmten Walkürenritt-Szene der "Walküre".

Bühnenbildentwurf für "Die Walküre" von Josef Hoffmann, 1876

Bühnenbildentwurf für "Die Walküre" von Josef Hoffmann, 1876

(c) Josef Hoffmann

Brünnhilde, die Ungehorsame

Aber es gibt noch einen zweiten Aspekt: Der Walkürenritt erklingt, kurz nachdem sich Brünnhilde (eine der neun Walküren) einem Auftrag Wotans widersetzt hatte und kurz bevor sich Wotan Brünnhilde "vorknöpft" und sie für ihr Ungehorsam bestraft. Bei Wagner sind die Walküren neun Schwestern, alles Töchter des Gottes Wotan mit verschiedenen Frauen. Brünnhilde, Lieblingstochter Wotans, die aus seiner Verbindung mit Erda (einer Erdgöttin) hervorgeht, erhält den Auftrag, Siegmund (ein Menschensohn Wotans) im Kampf zu Tode kommen zu lassen. Siegmund soll bestraft werden, weil er mit seiner Zwillingsschwester Sieglinde Inzest getrieben hatte. Brünnhilde ist aber so gerührt von der Liebe Siegmunds zu Sieglinde, dass sie sich Wotans Auftrag widersetzt. Daraufhin erledigt Wotan die Sache selbst und bestraft Brünnhilde damit, dass er sie in ein irdisches "Weib" verwandelt, das dem erst besten Manne, der sie aus dem "wehrlosen Schlaf" erweckt, gehöre. ("… dem herrischen Manne gehorcht sie fortan, am Herde sitzt sie und spinnt, aller Spottenden Ziel und Spiel").

Zwischen Göttlichem und Irdischem stehen diese Walküren, als Wegbegleiterinnen der Helden in den Tod. Brünnhilde in besonderer Weise: zwischen göttlichem Auftrag und irdischer Liebe spannt sich ihr Schicksal. Sie widersetzt sich dem väterlichen Auftrag und wird also mit Menschlichkeit bestraft, nachdem sie von menschlicher Liebe so gerührt war - einer inzestuösen Liebe allerdings. Um Brünnhilde ranken sich - nicht anders zu erwarten - allerlei psychoanalytische Deutungen. Man könnte sagen, das Inzestmotiv ist ihr nicht unbekannt. Sie wird als Wotans "Wunsches Braut" und "Wunsches schaffender Schoß" beschrieben. Zudem von Wagner als androgynes Wesen vorgestellt: weibliche Göttin mit (auch musikalisch) deutlich männlichen Charakterzügen.

So könnte man den Ritt der Walküren also als Ritt zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod, Jenseits und Diesseits, gehorsam und ungehorsam, männlich und weiblich verstehen. Und viele andere Deutungen sind möglich, kreisend um diese seltsame Zwischenposition der Walküren. Auch dies kann Ausgangspunkt und Motiv der neu komponierten "Walkürenritte" sein.

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