Ausstellung in der Votivkirche

Die Votivkirche in Wien wird zum Schauplatz für zeitgenössische Kunst. Unter dem Titel "Leiblichkeit und Sexualität" werden Skulpturen und Installationen von Künstlern wie Damien Hirst, Erwin Wurm und Doug Aitken ausgestellt.

Anders Krisár, Birth of Us (Boy), 2006-7

Anders Krisár, Birth of Us (Boy), 2006-7

(c) Anders Krisár

Kulturjournal, 18.04.2013

Betritt man die Votivkirche durch den Eingang rechts vom Hauptportal, steht man bereits vor dem ersten - und größten - Kunstwerk der Ausstellung: einem begehbaren Korridor, der vollständig mit beweglichen Spiegeln bedeckt ist. "No History" nennt sich die Skulptur des US-amerikanischen Künstlers Doug Aitken, eine Leihgabe der Thyssen Bornemisza Kunstsammlung in Wien. Betritt man das Objekt, trifft man auf unzählige Reflexionen seiner selbst und des umliegenden Raums.

"Die ganze Ausstellung soll sich wie eine Pilgerfahrt anfühlen", sagt Kurator David Rastas. "Jede Station erinnert an einen Teil des Gottesdienstes. Wenn wir zu Beginn Doug Aitkens Skulptur betreten, ist das wie ein Einzug: Man bewegt sich durch einen außergewöhnlichen Raum. Wir sind in der Kirche, und gleichzeitig in einem Raum, der uns in der Kirche reflektiert. Die Besucher sind also eingeladen, ihr Dasein, ihre Präsenz in diesem Raum zu betrachten."

Am Ausgang des Spiegelkorridors findet sich ein prominenter Vertreter der Ausstellung: Die Bronzeskulptur "Saint Bartholomew" von Damien Hirst: Der gehäutete Märtyrer ist mit Sichel in der Hand dargestellt.

Schräg darüber hängt eine Installation der deutschen Künstlerin Karmen Frankl mit dem Titel "Fliegenglobalisierung": sechs weiße, von innen ausgeleuchtete Weltkugeln. Auf ihnen kleben tote Fliegen, die zuvor mit Pheromonen angelockt worden waren. Die Installation hängt exakt über jenem Platz in der Votivkirche, an dem Asylsuchende im vorletzten Winter wochenlang lagerten und im Hungerstreik ausharrten.

Rastas und die Kunst im sakralen Raum

In der Ausstellung "Leiblichkeit und Sexualität" geht es Rastas aber freilich vor allem um die sakrale Bedeutung der Votivkirche und die Wechselwirkung des kirchlichen Raums und der zeitgenössischen Kunstwerke. Diese sind in Nebenkapellen, direkt auf Seitenaltären oder Beichtstühlen angebracht. Wie die Besucher die Werke betrachten, hänge auch davon ab, welchen Bezug sie zum kirchlichen Raum haben, meint der Kurator. So könne jedes Kunstwerk eine religiöse Bedeutung bekommen, unabhängig von seinem Inhalt.

Seit Jahren beschäftigt sich David Rastas mit zeitgenössischer Kunst im sakralen Raum. 2006 hat der gebürtige Australier in der Kathedrale von Melbourne zeitgenössische Kunstwerke platziert und dabei die interessante Entdeckung gemacht, dass viele Besucher die Werke mit dem Themenbereich Sexualität in Verbindung brachten. Das immer noch nicht aufgearbeitete Verhältnis der Kirche zur Sexualität ist für Rastas einer der Gründe für überraschende Assoziationen.

Inspiration "Theologie des Leibes"

Auf einer Recherchereise durch Europa traf der Kurator in Wien auf Pater George Elsbett, dem Hausoberen der Legionäre Christi in der Erzdiözese Wien. Elsbett hatte sich ausführlich in die von Papst Johannes Paul II. entwickelte sogenannte "Theologie des Leibes" eingearbeitet und lieferte Rastas den entscheidenden Anstoß für die Ausstellung in der Votivkirche. Mit seinen Thesen zur Sexualität habe es der Papst geschafft, den alten Dualismus zwischen Körper und Geist, der unter Theologen und Kirchenvertretern weit verbreitet war, aufzubrechen.

Die "Theologie des Leibes" findet sich in der Ausstellung in Form von Überschriften wieder: So wurde der Chorraum 1 etwa in "Ursprüngliche Nacktheit" umgetauft: Darin findet sich unter anderem ein Video von Pippilotti Rist mit dem Titel "I'm a victim of this song", in dem die Schweizer Künstlerin einen bekannten Popsong mit ihren wütend-verzweifelten Schreien unterlegt.

Die Chorräume hinter dem Hochaltar sind anlässlich der Ausstellung übrigens erstmals wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Dort findet sich etwa auch Erwin Wurms Skulptur "Kastenmann Pink", die vor einem Marienaltar steht und sich dem Betrachter zuwendet. Oder die multimediale Installation "Cleaning You", in der ein anonymer Künstler zu sehen ist, wie er mit seiner Zunge eine Statue des gekreuzigten Christus von jahrhundertealten Schmutzablagerungen reinigt. Ohne die Kunst in einen theologischen Rahmen stecken zu wollen, bietet die Ausstellung zahlreiche Impulse zur intensiven Betrachtung - eine wechselseitige und beiden Seiten nützliche Öffnung von Kirche und zeitgenössischer Kunst.