Interview: Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri

Es ist ein Märchenfilm, ein Boulevardstück und eine Gesellschaftskomödie in einem: der Streifen "Unter dem Regenbogen - Ein Frühjahr in Paris". Die beiden Autoren Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri sprechen über ihren leichtfüßigen Film.

Kulturjournal, 13.08.2014

Märchen enden oft mit einer Moral, so nach dem Motto "Ende gut, alles gut". Das ist auch hier so, und doch ist da einiges verschoben. Geschliffene, oft ätzend-brillante Dialoge, skurrile, für die Akteure oft peinliche, aus dem Leben gegriffene Situationen. Das zeichnet das Werk von Agnès Jaoui aus, die von Kritikern auch als "Woody Allen Frankreichs" bezeichnet wird. Die Drehbuchautorin und Regisseurin, die auch Regie führt, und der Co-Autor Jean-Pierre Bacri spielen in dem Film selbst mit.

Christian Fillitz: Ihr Film ist eine Art amoralisches Märchen. Kann man das so sagen?
Agnès Jaoui: Amoralisch? Nein, ich glaube er ist moralisch, aber er hat nicht dieselbe Moral wie sonstige Märchen. Ich finde ihn moralisch.

Der Film endet mit dem Satz: "Sie lebten glücklich und betrogen sich oft."
Agnès Jaoui: Ja!
Jean-Pierre Bacri: Das wird durch manche Vorurteile in der Gesellschaft als amoralisch betrachtet. Man kann auch sagen: so ist das Leben, und das Leben ist per se moralisch.

Gleich in der Anfangsszene, wo Laura die Tür zu einer feenhaften Landschaft öffnet, gibt es etwas Abgehobenes.
Agnès Jaoui: Ja, wir wollten die Zuschauer gleich von Anfang an in ein feenhaftes Ambiente tauchen. Man erfährt später, dass das ein Traum ist. Ich wollte jedenfalls alles Feenhafte und Wundervolle im Alltag behandeln. Es beginnt also mit einem Traum, der wundervoll ist.

Was war denn die Anfangsidee, um den Film zu machen?
Jean-Pierre Bacri: Wir wollten von einer Art Express-Märchen ausgehen. Da gibt es diese Prinzessin, die sich im Wald verirrt hat, dann begegnet sich das Paar. Sie lieben sich und der Film hätte nach zehn Minuten mit dem Satz "und sie lebten zufrieden und hatten viele Kinder" enden können. So ist das normalerweise.
Was uns interessiert hat, war, von diesem ersten Märchen mit dem Schlusssatz auszugehen und ins wirkliche Leben zu wechseln, und der Frage nachzugehen: Stimmt das so? Sind wir glücklich? Worin besteht das Feenhafte, das Magische? Dann haben wir uns mit den verschiedenen Glauben und Aberglauben amüsiert oder dem Glauben überhaupt.

Als Gegengewicht ist Pierre, die Figur, die Sie spielen, ein Zyniker, der allerdings durch eine Voraussagung zunehmend verstört ist.
Jean-Pierre Bacri: Er ist weniger zynisch als sehr rationell. Dennoch lässt er sich durch etwas völlig Irrationales überwältigen. Man kann ja nicht rein rational leben, man lässt sich immer durch etwas Magisches oder Mystisches beeinflussen.
Agnès Jaoui: Er ist kein Zyniker, er ist effektiv rationell. Weder abergläubisch noch gläubig. Er ist gegenüber Gefühlen verschlossen, aber kein Zyniker.

Sie stellen unterschiedliche Figuren gegenüber: einerseits die Träumer, wie Laura, andrerseits die mit den Füßen am Boden, etwa die ganze Familie von Laura - ihren Vater, ihre von der Schönheitschirurgie besessene Mutter. Wie sind Sie vorgegangen, um die Geschichte weiterzuentwickeln? Am Anfang erkennt man die Beziehungen zwischen den Figuren überhaupt nicht.
Agnès Jaoui: Das ist das Schwierige: die Figuren vorzustellen, mit dem Risiko, dabei die Zuschauer zu verlieren. Dann muss man die Figuren wieder miteinander verbinden, das braucht Monate Arbeit. Ich kann das gar nicht genau sagen.
Jean-Pierre Bacri: Die Familie von der sie sprechen, Laura und ihre Eltern, das ist die am stärksten karikierte, im Sinne eines Märchens. Wir haben da den König und die Königin gesehen, die ihre Jugend dahinschwinden sehen, und das junge Mädchen: das sind echte Elemente eines Märchens.

Es gibt viele Anspielungen auf Märchen: den verlorenen Schuh, den hier ein Bursche verliert, Rotkäppchen und so weiter. Wollten Sie ein modernes Märchen schreiben?
Agnès Jaoui: Genau! Ich glaube, dass die meisten Märchen - deswegen haben wir auch diesen Film geschrieben - meist nach dem gleichen Schema ablaufen. Vor allem die Märchen, die von Walt Disney übernommen wurden oder Märchen von Perrault: Da geht es immer um die Suche nach dem Glück, der großen Liebe. Aber das Leben ist ein wenig anders, und so wollten wir eine andere Art von Märchen machen.

Außerdem sind Ihre Figuren nicht schwarz-weiß, sie entwickeln sich.
Agnès Jaoui: Das ist das Prinzip des Märchens: Da gibt es den Bösen, die Liebe u.s.w. Im Leben ist das nicht so.
Jean-Pierre Bacri: Da ist es nie so einfach, so manichäisch: Wir zeigen das Leben mit seinen kleinen Wundern, aber eben mit Nuancen.

Was ihre Beziehungen zu Ihren Figuren betrifft, gehen Sie mit manchen ziemlich hart um. Hier mit der Mutter, die von der Schönheitschirurgie besessen ist. Auch mit Laura. Das ergibt aber sehr unterhaltsame Szenen und Dialoge.
Agnès Jaoui: Das ist schwer, ich will zu niemand hart sein.
Jean-Pierre Bacri: Ja wir wollen mit niemand hart sein, aber unsere Meinung oder unsere Stimmungen scheinen halt doch durch.
Agnès Jaoui: Bei Laura ist es die Jugend mit ihrer Überzeugung und auch ihrer Dummheit. Ich erinnere mich an meine Jugend, ich hatte da Überzeugungen über Treue und Untreue, die sehr endgültig waren, ganz eindeutige Beurteilungen, und ich wollte zeigen, dass es auch größere Feinheiten gibt.

Es gibt auch eine Art Parallelaktion, nämlich das Kindertheater, und der Film endet ja auch damit.
Agnès Jaoui: Die Kinder sind ja die ersten, denen wir etwas glauben lassen wollen. Und es sind auch die ersten Erfahrungen mit der Liebe, und die damit verbundene Leiden.
Jean-Pierre Bacri: Wir sind ja alle, wie Sie wissen, alte Kinder. Wir haben alle Wünsche, dass die Dinge wie in einem Märchen ablaufen. Wir sind fürs Leben davon geprägt, Dinge zu idealisieren: die große Liebe, der große Erfolg …

Auf einer anderen Ebene: Sie arbeiten schon lange zusammen und außerdem sind Sie auch Schauspieler in Ihren Filmen. Wie funktioniert das?
Jean-Pierre Bacri: Wir waren ursprünglich Schauspieler.
Agnès Jaoui: Ja, und dann bekamen wir Lust zu schreiben. Wir wollten nicht nur darauf warten, dass andere uns anriefen. Wir arbeiten immer noch mit Heft und Kugelschreiber. Wir diskutieren bis Figuren Form annehmen oder eine Geschichte sich herauskristallisiert, und nach sechs oder sieben Monaten gehen wir an die Dialoge heran.
Jean-Pierre Bacri: Wir wollten immer in unseren Filmen spielen. Wir hatten eine traumatisierende Erfahrung gemacht: wir hatten zwei Filme für Alain Resnais geschrieben. Die hießen "Smoking/No Smoking", wo wir viel Spaß mit den Dialogen hatten, und schließlich haben zwei andere Schauspieler das gespielt - übrigens sehr gut. Wir waren aber frustriert, etwas geschrieben zu haben und nicht drinnen zu sein. Wir haben dieses Trauma aufgegeben und gesagt, dass wenn wir einen Film schrieben, wir auch Rollen für uns schreiben, um an dem Fest teilzunehmen.