Richard Powers' "Orfeo": Gene und Musik

Dass sich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in spannende Romane packen lassen, hat der amerikanische Schriftsteller Richard Powers schon mehrfach bewiesen. In der Vergangenheit befasste er sich mit Themen wie Hirnforschung, künstlicher Intelligenz und virtueller Realität. Sein neuer Roman "Orfeo" verknüpft jetzt auf aufsehenerregende Weise Musiktheorie und Gentechnik.

Morgenjournal, 21.8.2014

Chemische Formel als göttliche Komposition

Die Hauptfigur in Richard Powers neuem Roman ist Peter Els, ein siebzigjähriger Komponist und Hobbychemiker. Musik und Chemie hält er für eng verwandt, denn chemische Formeln erscheinen ihm wie göttliche Kompositionen. Und so kommt er auf die unglaubliche Idee, Musik in das Genom eines Lebewesens einzuschleusen. Was heißt hier unglaublich, meint Richard Powers im Interview: "Vor zwei Monaten erst habe ich von Wissenschaftlern gelesen, die genau das getan haben, was Peter Els in meinem Buch versucht, nämlich eine encodierte Musikdatei in die DNA eines Lebewesens zu verpflanzen."

Recherchen am Institut für Molekularbiologie

Mit seinem Wissen ist Richard Powers ganz am Puls der Zeit. Für seinen Roman war es ihm darüber hinaus wichtig, auch praktisch ganz genau Bescheid zu wissen. Zu Recherchezwecken hat er deshalb am Institut für Molekularbiologie an der Stanford-University zu arbeiten begonnen. Richard Powers: "Ich bin jemand, der nicht einmal eine Fahrradkette schmieren kann ohne sich völlig schmutzig zu machen. Und da hat es mich interessiert, ob jemand der so ungeschickt ist wie ich lernen kann, einen DNA-Strang zu zerlegen und die Bestandteile einem mikroskopisch kleinen Organismus einzupflanzen. Und dank meiner Arbeit in dem Labor weiß ich jetzt, dass Gentechnik viel mit Kochen gemeinsam hat und es ausreicht, Rezepte lesen zu können, um wirklich furchterregende Dinge zu tun."

Im Roman stößt die Polizei durch Zufall auf das Labor des am Gen experimentierenden Komponisten und macht sich auf die Jagd nach dem vermeintlichen Bioterroristen. Auch dieses Bedrohungsszenario, meint Powers, sei nicht weit hergeholt, sondern ganz real: "Wir leben in einem Zeitalter, in dem biologische Basteleien jedem offen stehen und es gibt auch tausende Menschen, die in ihren Küchen oder Garagen aufwendige und komplizierte Manipulationen an Lebewesen vornehmen mit Geräten und Apparaturen, die sie im Internet bestellt haben."

Diktierte Sprachmelodik

Richard Powers hat aber nicht nur seine wissenschaftliche Neugier in seinem Roman "Orfeo" verarbeitet, sondern auch seine andere große Leidenschaft, die Musik. Powers spielt selbst mehrere Instrumente, darunter Klarinette und Cello, und beim Lesen merkt man schnell, welche Melodik seine Texte entwickeln. Das hat auch einen ganz konkreten Grund, denn Powers schreibt seine Romane nicht, sondern diktiert sie seinem mit einem Spracherkennungsprogramm ausgestatteten Computer.

Und dann macht er sich mittels seines Protagonisten auch noch Gedanken, wie es mit der Musik im digitalen Zeitalter weitergehen wird: "Peter Els stellt sich am Ende seines Lebens die Frage, was die Zukunft der Musik sein wird, wenn jeder jederzeit jedes Musikstück auf seinem Smartphone hören kann. Wie können wir überhaupt noch einem Song konzentriert zuhören, wenn wir völlig überwältigt davon sind, dass gleichzeitig auch jeder andere Song verfügbar wäre."

Wer von dem musikalischen Überangebot des digitalen Zeitalters überfordert ist, der kann sich anhand von Richard Powers neuem Roman "Orfeo" eine ansprechende Musikliste erstellen. Davor sollte man aber unbedingt versuchen, die Stücke zwischen den Zeilen zu hören, denn wie Powers es schafft, Kompositionen von Mozart, Messiaen und Schostakowitsch in Worte zu kleiden, das ist unvergleichlich in der Gegenwartsliteratur.

Service

Richard Powers