Ukraine: Lawrow drängt auf Verhandlungen

In der Ostukraine gewinnen nach wochenlangen Erfolgen der ukrainischen Regierungstruppen wieder die pro-russischen Rebellen die Oberhand - eine Wende, die wie Ukraine und EU meinen nicht zuletzt auf direkte militärische Hilfe aus Russland zurückzuführen ist. Nun will Russland die geänderte Lage auf dem Schlachtfeld offenbar auch politisch nützen: Präsident Putin drängt die Ukraine zu Gesprächen über die Zukunft der Ostukraine.

Mittagsjournal, 1.9.2014

Putin sorgt für Verwunderung

Oft hat sich der russische Präsident Putin tagelang rar gemacht, die Krise in der Ukraine nicht öffentlich kommentiert, doch nun tritt er gleich zweimal innerhalb von weniger als 24 Stunden vor die Fernsehkameras. Und die Botschaft, die Putin heute Vormittag bei einem Besuch in Sibirien verkündet, ist dieselbe wie gestern: "Die Tragödie in der Ostukraine besteht vor allem darin, dass die Kiewer Führung keinen politisch substantiellen Dialog mit dem Osten des Landes führen will", meint Putin, drückt dann aber die Hoffnung aus, dass es nun doch Gespräche geben werde, das jedenfalls, so Putin, habe er mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko vereinbart.

Es scheint klar: Verhandlungen sind derzeit Moskaus vorrangiges Ziel, Moskau sieht nun offenbar die Chance, bei diesen Verhandlungen seine eigenen Interessen durchsetzen zu können, entweder direkt oder mit Hilfe der pro-russischen Separatisten, meinen Politologen. Doch was will Moskau eigentlich erreichen? In dieser Frage hat Putin mit seinem gestrigen Fernsehinterview für einige Verwirrung gesorgt: "Man muss rasch substantielle Verhandlungen aufnehmen, nicht über technische Fragen, sondern über die Frage der politischen Organisation der Gesellschaft und die Staatlichkeit im Südosten der Ukraine."

Was will Moskau?

Vor allem das Wort "Staatlichkeit" sorgte für Verwunderung. Will Putin nun also doch die Abspaltung der von den Separatisten gehaltenen Gebiete, die Gründung eines eigenen Staates, den außer Russland dann vermutlich kaum ein Land anerkennen würde? Putins Sprecher Peskow stellte sofort klar: nein, so habe das Putin nicht gemeint, es gehe vielmehr um die Wahrung der Interessen der Bevölkerung des Südostens der Ukraine innerhalb der Ukraine. Doch trotz dieser Klarstellung - die Politologen und politischen Kommentatoren in Russland sind sich nicht mehr ganz sicher, was Putin nun will. Manche - freilich vorerst offenbar eine Minderheit - vermuten, dass der russische Präsident tatsächlich auf eine Abspaltung eines Teils der Ukraine hinarbeiten könnte. Als wahrscheinlicher wird in Moskau aber nach wie vor eine andere Strategie des Kremls gesehen: Die russische Führung wolle erreichen, dass die Separatisten ein Mitspracherecht in der ukrainischen Politik zugestanden bekommen. Dann könnte der Kreml die Separatisten nämlich benützten, um selbst Einfluss auf die ukrainische Politik zu nehmen.

Doch was auch immer Moskau erreichen will - noch ist fraglich, wie weit Kiew überhaupt zu Verhandlungen über eine Veränderung des politischen Status des Ostens des Landes beriet ist. Erste Hinweise könnte es vielleicht noch heute geben: Geplant ist nämlich im Lauf des Tages ein Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in der weißrussischen Hauptstadt Minsk: Vertreter Russlands, der Ukraine und vermutlich auch der Separatisten werden also erstmals seit zwei Wochen wieder einmal an einem Tisch sitzen.