Der Machtzirkel in Kasachstan

In Kasachstan ist der Gerichtsprozess in Wien zwar kein Thema, das in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Aber Politologen, Menschenrechts-Aktivisten und die Journalisten der wenigen regierungsunabhängigen Medien verfolgen den Fall dennoch gespannt - geht es doch um Ereignisse, die den innersten Machtzirkel des Landes betreffen.

Morgenjournal, 14.4.2015

ORF-Korrespondent Christian Lininger aus Almaty, der größten Stadt Kasachstans und jener Stadt, in der die Morde an den beiden Bankmanagern laut der Anklageschrift verübt worden sein sollen.

Dass die mutmaßlichen Mittäter von Rachat Alijew heute in Wien vor Gericht stehen, und dass auch Alijew selbst vor Gericht gestanden wäre, wäre er noch am Leben, das hat nur wenig mit der Frage zu tun, ob die drei nun tatsächlich einen Doppelmord begangen haben oder doch nicht, ist man in Kasachstan überzeugt.

Das was mit Rachat Alijew passiert ist, war in erster Line eine Abrechnung innerhalb der Elite, sagt der Politologe Dosym Satpajew von der Kazakhstan Risks Assessment Group. Alijew war als Schwiegersohn von Präsident Nursultan Nasarbajew Teil dieser Elite. Und wäre er es geblieben, wäre ihm ein Mordverdacht sicher nicht zum Verhängnis geworden, sagt der kasachische Menschenrechtsaktivist Jewgeni Schowtis.

Das politische System ist auf absolute Loyalität und Ergebenheit aufgebaut – und garantiert dafür einem engen Kreis dem Präsidenten nahestehender Menschen, dass sie nicht bestraft werden können. Wenn Alijew und Mussajew dem Präsidenten loyal geblieben wären, dann hätte man wohl nichts gegen sie gefunden, hätte sie nicht angeklagt. Doch Alijew blieb nicht loyal.

Er hat wirklich versucht, Nasarbajew die Führungsposition streitig machen, sagt Gulschan Jergalijewa, eine der bekanntesten regimekritischen Journalistinnen des Landes. Als er begonnen hat, gegen den Präsidenten und seine Familie kompromittierendes Material zusammenzustellen, hat die Führung zum Gegenschlag ausgeholt und begonnen alles zu tun, um Alijew und seine Vertrauten hinter Gitter zu bringen, meint der Politologe Satpajew. Kasachstan engagiert westliche Anwaltskanzleien, damit diese helfen, eine Festnahme Alijews im Ausland zu erreichen.

Dafür ist natürlich viel Geld ausgegeben worden, aber es hat sich ausgezahlt, weil es gibt ja Ergebnisse, so Satpajew. Die Mittäter Alijews stehen nun tatsächlich vor Gericht. Die kasachische Führung hat also ihr Ziel erreicht – aber das beweist natürlich weder, dass Alijew und seine mutmaßlichen Mittäter die ihnen angelasteten Morde tatsächlich begangen haben, noch, dass sie es nicht getan haben. Zutrauen würde sie Alijew die Tat aber, sagt die Journalistin Jergaliewa.

Rachat Alijew war eine verhasste Figur. Er hat hier sehr viele fürchterliche Verbrechen verübt, er hat sich 5, 6 Jahre wie der Besitzer dieses Landes aufgeführt, er hat Menschen ihre Unternehmen weggenommen, Leute entführt, hat Journalisten verfolgt, auch mich selbst. Er hatte daher so einen Ruf, dass niemand daran zweifelt, dass er fähig ist zu solchen Verbrechen.
Doch auch der Ruf, ein Verbrecher zu sein, ist natürlich noch kein Tatbeweis. Die Staatsanwaltschaft Wien hat sich in ihrer Anklageschrift auf etliche Zeugenaussagen gestützt, die von kasachischen Behörden übermittelt wurden.

Ich traue den Beweisen, die Kasachstan zur Verfügung stellt, nicht besonders. In Kasachstan gibt es keine Gewaltenteilung und es gibt politische Einflussnahme, meint der kasachische Menschenrechtsaktivist Schowtis. Doch er hofft, dass in Wien trotzdem etwas möglich ist, was es vor einem kasachischen Gericht nie gegeben hätte: Waffengleichheit für Anklage und Verteidigung.