Justizanstalt-Panne in Wien

Einzigartiger Fall aus der überfüllten Justizanstalt Josefstadt: Das Opfer eines mutmaßlichen Mordversuchs war wochenlang in derselben Gefängniszelle eingesperrt wie der mutmaßliche Täter. Diese Situation, die zu einer Bedrohung oder Beeinflussung des Opfers führen könnte oder hätte können, war der Justizwache offensichtlich nicht bewusst. Und laut Justiz hat auch das Opfer nicht auf die höchst fragwürdige Unterbringung aufmerksam gemacht.

Morgenjournal, 2.6.2015

Gleich 6 Wochen lang waren die beiden Beteiligten an einer Messerstecherei in ein und derselben Gefängniszelle - gemeinsam mit anderen Häftlingen. Der eine ist angeklagt worden wegen Mordversuchs am anderen durch einen Bauchstich. Der andere ist - unabhängig davon und etwas später - wegen eines kleineren Delikts eingesperrt worden. Dass er mit dem mutmaßlichen Täter zusammengesperrt war, hat ihn sehr gestört, sagt sein Opfervertreter Zlatko Petronijevic: "weil er sich eben vor dem Täter gefürchtet hat - ganz einfach. Was ja auch verständlich ist."

Schließlich war vor rund einem Jahr die Rede von einer lebensgefährlichen Messerattacke des 28-jährigen Marokkaners gegen den 24-Jährigen, der ebenfalls aus Nordafrika stammt. Aber nicht nur die Gefahr einer neuerlichen gefährlichen Auseinandersetzung habe durch die gemeinsame Unterbringung bestanden, sagt Opfervertreter Petronijevic: "Das könnte zum Beispiel der Wahrheitsfindung schaden, sagen wir´s einmal so, indem sich Täter und Opfer gegenseitig zum Beispiel beeinflussen."

In der Justizanstalt Josefstadt zeigt man sich bestürzt. So etwas kommt einmal in 1000 Jahren vor, und leider gerade bei uns, sagt ein Sprecher. Man rechne einfach nicht damit, dass ein Opfer inhaftiert wird. Die Staatsanwaltschaft achte zwar darauf, dass Komplizen nicht in eine Zelle kommen und sich nicht verabreden können. Und das Gefängnis-Computersystem sei verknüpft mit Täterdaten aber nicht mit den Opferdaten der Staatsanwaltschaft. Außerdem habe sich das mutmaßliche Opfer nicht beschwert bei seinem Verteidiger, bei Ärzten und der Justizwache über diese Unterbringung. Opfervertreter Petronijevic meint: "Vielleicht hat´s Verständigungsschwierigkeiten gegeben zwischen dem Opfer und anderen Beteiligten betreffend Verlegung. Ob´s ein Verlegungsansuchen gegeben hat, kann ich nicht sagen." Der 24-Jährige, der laut Petronijevic französisch spricht, behauptet aber, er habe sich sehr wohl beschwert. Dennoch nimmt sein Vertreter die Justiz teilweise in Schutz: "Es war sicher nichts geplantes, das ist einfach passiert."

Übrigens: Ende letzter Woche hat es in diesem Mordversuchs-Fall rund um die Messerattacke in der Wiener Pizzeria "Camorra" ein Geschworenen-Urteil gegeben - nämlich einen bereits rechtskräftigen Freispruch für den Angeklagten. Beeinflussung in der Gefängniszelle dürfte dabei aber keine Rolle gespielt haben. Das angebliche Opfer hat den Angeklagten vor Gericht nämlich sehr wohl beschuldigt. Die Verantwortlichen der notorisch überfüllten Justizanstalt Josefstadt wollten kein Interview geben.