Radiokolleg - Vom Fließband zum Clean Desk
Ideen, Ideologien und Irrtümer der Arbeitsplatzgestaltung
(1). Gestaltung: Marlene Nowotny
5. Oktober 2015, 09:05
Für die meisten Unternehmen muss ein gut geplanter Arbeitsplatz heute vor allem eines ermöglichen: effiziente Arbeitsabläufe. Diese Leitidee ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung, war spätestens klar, dass die Massenproduktion von Gütern in den Fabriken zu einem immer größeren Administrationsaufwand führt. Buchhaltung, Kontoführung, Schriftverkehr waren dort umfangreich, wo auch viel produziert wurde. Eine neue Klasse von Beschäftigten entsteht: jene der Angestellten. Bald wird versucht, ähnlich wie in der Fabrik, die Arbeitsabläufe der Büroangestellten zu optimieren. Wie die Arbeiter in den Fabrikhallen werden sie in Bürohallen gesetzt, in denen sich ein Schreibtisch an den anderen reiht. Zwischen den Reihen kann der Vorarbeiter entlangschreiten und kontrollieren, ob auch hier wie am Fließband produziert wird. Der Bürosaal, der in den USA Ende des 19. Jahrhunderts auftaucht, wird zur Mutter des Großraumbüros.
"Cubicles", Bürolandschaften, Wechselarbeitsplätze - die Angestellten der Gegenwart sitzen nur selten alleine oder zu zweit in einem Zimmer, sie teilen sich den Schreibtisch meist mit vielen Kollegen und Kolleginnen. Aus Sicht der Arbeitgeber ist dieses Konzept unschlagbar: Es wird kein unnötiger Platz verbraucht, die Miet-, Einrichtungs- und Energiekosten sind so gering wo möglich. Die Arbeitspsychologie stellt diesem Konzept dagegen ein schlechtes Zeugnis aus: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Arbeitnehmer/innen in Großraumbüros unzufriedener sind, öfter krank und vor allem weniger effektiv. Dennoch ist das "open office" weiter auf dem Vormarsch.
Konzepte der Arbeitsplatzgestaltung sind nicht nur für Arbeitgeber/innen interessant: Die Sozialwissenschaften analysieren seit Jahrzehnten, welche Folgen die Organisation von Arbeitsräumen für die Beschäftigten haben - und umgekehrt, welche gesellschaftlichen Veränderungen zu einer Neustrukturierung von Arbeitsumfeldern führen. Waren die Fabriken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Orte der politischen Öffentlichkeit, sind die Großraumbüros der 1960er Jahre Stätten der Individualisierung. Anders als die Arbeiterschaft, sind die Angestellten keine politische Klasse mehr, sondern lediglich eine gesellschaftliche. Das Radiokolleg verfolgt in dieser Woche die Geschichte des modernen Arbeitsplatzes - von der Fabrikhalle bis zum Heimbüro - und fragt nach den Ideen, Ideologien und Irrtümern, die hinter diesen Konzepten stehen.
Service
Nikil Saval (2014): Cubed. A Secret History of the Workplace, Random House
Andres Rumpfhuber(2013): Architektur immaterieller Arbeit, Verlag Turia + Kant
Christoph Bartmann(2012): Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten, Hanser Verlag
Ulrich Brinkmann (2011) : Die unsichtbare Faust des Marktes. Von betrieblicher Kontrolle und Koordination im Finanzmarktkapitalismus, Edition Sigma
Katalog der Oberösterreichischen Landesausstellung (1987): Arbeit, Mensch, Maschine. Der Weg in die Industriegesellschaft.
Wolfgang Ruppert (1986): Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und Kultur, Verlag C.H.Beck
C. Wright. Mills (1951): Menschen im Büro. Ein Beitrag zur Soziologie der Angestellten (orig.: White Collar - The American Middle Classes)
Siegfried Kracauer (1930): Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland, Suhrkamp Verlag
Herman Melville (1853): Bartleby, der Schreiber: Eine Geschichte aus der Wallstreet (Deutsche Übersetzung: Jürgen Krug), Insel Verlag