Vom Kammerensemble zum Orchester
Die Papageien im Höhenrausch
Es geht weiter. Beim Linzer Höhenrausch 2015 startet metamusic in die Phase 3, mit geräumiger 116 Quadratmeter großer Klang-Voliere und diesmal 21 Papageien, - 19 Graupapageien und zwei Amazonen. Ganze fünf Monate lang.
31. Dezember 2017, 12:00
Umbauarbeiten im Papageienheim
Aber alles der Reihe nach: In Vorbereitung auf die dritte Phase von metamusic wurde im Papageienheim der ARGE Papageienschutz umgebaut. Die Wand zwischen der Voliere der Wissenschaftsgruppe(1) und der Voliere im angrenzenden Raum wurde niedergerissen, um auch genügend Platz für eine so große Gruppe von Papageien zu schaffen. Am Anfang hätte es den Papageien ein bisschen Überwindung gekostet, die jeweils andere Gruppe zu besuchen, nun herrsche zwischen den beiden Gruppe aber bereits ein reger Austausch, berichtet Heimleiterin Julia Bellmann. Es ist der 12. Mai. Martin Breindl und Norbert Math sind gekommen, um den Neuen erstmals eines ihrer Musikinstrumente, das sich großer Beliebtheit erfreuende Karton-Zerfetz-Instrument zu präsentieren.
Neue viel versprechende Talente
Viele Wochen hat Julia Bellmann überlegt, welche Papageien auf Grund ihrer jeweils ganz individuellen Persönlichkeitsstruktur wohl besonderen Spaß an dem Projekt metamusic hätten. Daraufhin wurden die Ausgewählten stufenweise in die bereits bestehende Gruppe integriert. Der erste, der das Karton-Zerfetz-Instrument ausprobiert ist Bimboli, aber auch Cleo und Wittgenstein sind interessiert. Alle Drei überraschen mit einer neuen Spieltechnik. Während Bimboli mit seinem Schnabel auf die klingende Schachtel einhämmert, sie also als Schlaginstrument benutzt, verwendet Cleo das Karton-Zerfetz-Instrument als Streichinstrument, indem sie ihren Schnabel daran reibt.
Die vielen neuen Instrumente, die in diesen Wochen entworfen und gebaut werden, wollen die Künstler den Papageien aber erst in Linz präsentieren. Wenn sie bereits Teil des Mobiliars der neuen Klang-Voliere sind, werden sie von den Vögeln nämlich automatisch angenommen, so die bisherige Erfahrung. „Sie werden dann erforscht, so wie alles andere Neue in der Voliere auch“, erzählt Norbert Math.
Mensch und Tier, ein Team
Ihr erster Ansatz sei beinahe ein wenig paternalistisch gewesen, meint Math bei einem Rückblick auf die vergangenen drei Jahre im Wiener Atelier von alien productions. „Also wir bauen für die Tiere etwas und schenken ihnen das dann und die sind dann froh darüber und haben ihren Spaß damit und wir können uns gut vorkommen, weil wir den Tieren etwas Gutes getan haben“, führt Math aus. „Und so ist es aber nicht. Also es ist eigentlich eher so, dass die Papageien und wir ein Team geworden sind, viel mehr als ich mir das ursprünglich vorgestellt habe.“
Es stellte sich heraus, dass die Papageien vor allem dann an den Instrumenten interessiert sind, wenn die Menschen sie mit ihnen gemeinsam spielen. Graupapageien sind hochsoziale Wesen, die üblicherweise in Schwärmen leben, so nun auch in Linz. Das würde nicht zuletzt auch eine neue musikalische Dimension eröffnen, die es in den kommenden Monaten näher zu erforschen gilt.
Komplexere Konstellationen
„Bis jetzt haben wir eher kammermusikalisch gearbeitet“, so Norbert Math. „Das heißt, wir haben drei, vier Instrumente für sechs Vögel gehabt. Also Trios und Quartette wären sich theoretisch ausgegangen. De facto war es dann aber so, dass eher Solos gespielt wurden.“ „Solos mit Gesangsbegleitung“, wirft Martin Breindl hier ein. „Auch weil die Instrumente ja nicht immer gleich attraktiv sind, oder nicht zu jeder Zeit gleich attraktiv sind“, fährt Math fort. „Ich denke jetzt beim Höhenrausch werden wir ein Orchester haben, und nicht mehr nur ein Kammerensemble. Und wir werden versuchen im Laufe dieser Monate für jeden Papagei ein Instrument zu bauen. Das heißt, es werden am Ende vielleicht doch 21 Instrumente sein, wo jeder Vogel sein Lieblingsinstrument hat. Die Möglichkeiten zu interagieren werden sich einfach potenzieren. Je mehr Instrumente da sind, je mehr verschiedene Tiere da sind, verschiedene Charaktere, die dann vielleicht auch Lust haben oder Lust bekommen, miteinander zu spielen, umso mehr wird es möglich sein, dass sich auch komplexere Konstellationen ergeben, - Ensemblespiele aller Art.“
Viele neue Instrumente
Es ist der 18. Mai. Während in Linz die Voliere aufgebaut und eingerichtet wird, werden in Wien die Instrumente fertiggestellt. alien productions haben sich diesmal professionelle Unterstützung geholt, nämlich Florian Prix, mit dem Andrea Sodomka, Norbert Math und Martin Breindl auch schon öfters zusammengearbeitet haben. Wir besuchen den vielseitigen Medienfachmann, Toningenieur und Instrumentenbauer in den Räumlichkeiten seiner Firma Kaulbach.
Das Touchpad-Instrument, das zur alternativen Klangbefüllung nun modifizierte Babyklavier, ein zum Joystick umfunktionierter Trackball, - die Funktionen einiger der bereits in Graz, Schiltern und Dresden erprobten Instrumente wurden erweitert. Zusätzlich wurde eine Reihe neuer Geräusch-produzierender Interfaces entwickelt. Eingebaut sind sie alle in papageiensicheren Flight-Cases.
Klangerzeugung durch Erkraxelung
Aus einem der Flight-Cases ragt ein Abstreifgitter für Malerarbeiten empor. „Das soll den Papagei zum Kraxeln animieren“, erklärt Florian Prix. Auf dem Abstreifgitter ist ein Tonabnehmer montiert. Das Audiosignal kann entweder pur verwendet oder digital verfremdet werden. Alle Instrumente werden mit einem Computer im Regie- und Forschungscontainer gegenüber der Voliere verbunden sein. Jedes Instrument verfügt darüber hinaus über einen kleinen Verstärker und einen Lautsprecher, damit die Vögel die von ihnen produzierten Klänge auch unmittelbar erfahren können.
Auf einem anderen Flight-Case ist eine dünne, auf Federn aufliegende Metallplatte montiert, die sobald sich ein Papagei auf diese setzt oder daran zupft zu schwingen und zu klingen beginnen wird. Näher vorgestellt wird mir dann auch noch das – Arbeitsbegriff – Stimm-Verstärk-Instrument. Hier befindet sich im Flight-Case ein Loch, in das der Vogel seinen Kopf hineinstecken kann. „Und wenn er oder sie dann zwitschert, brüllt oder etwas sagt, wird das verstärkt und schallt daraufhin über den ganzen Platz“, so Norbert Math.
Die Papageien im Höhenrausch
Es ist der 29. Mai. Seit knapp einer Woche sind die Papageien nun in Linz und fühlen sich dort sichtlich wohl, wie Iris Baldinger schildert. „In der Außenvoliere gefällt es ihnen sehr gut“, so Baldinger. Die Nacht verbringen die Vögel in zwei an die Voliere angeschlossenen Schutzräumen. In der Früh würden sie nur darauf warten, endlich wieder ins Freie zu dürfen. „Sie genießen es ganz oben zu sitzen. Einige sitzen auch gerne am Rand der Voliere. Dann können sie den Platz vor dem OK überblicken und beobachten, was dort unten vor sich geht. Also das ist für die Vögel eine ganz tolle Atmosphäre hier.“
Iris Baldinger ist eine der zoologischen Beraterinnen im metamusic Team. Sie hat auch 2012 den ersten Kontakt zwischen alien productions und der ARGE Papageienschutz hergestellt. Nun ist Baldinger eine jener Tierpflegerinnen, die sich in den kommenden Monaten um die fachgerechte Betreuung der Papageien kümmern werden, - wie bereits in Graz, Schiltern und Dresden organisiert und koordiniert von der ARGE Papageienschutz.
Erste Begegnungen mit den neuen Instrumenten
Den Publikumsansturm bei der Eröffnung hätten die Papageien übrigens durchwegs genossen und auch mit den Instrumenten hätten sich einige der Vögel bereits beschäftigt. „Die Wittgenstein ist schon total fasziniert von dem Joystick, also da ist sie draufgesessen und hat an dem herumgezerrt, in alle Richtungen, und hat daran geknabbert und auch gleich versucht, den Flight-Case aufzubrechen“, berichtet Julia Bellmann.
Und Coco hätte bereits auf den noch nicht in Betrieb befindlichen Touch-Screen geklopft. Die Besucher/innen würden es ihr aber nicht so recht glauben, dass die Papageien auch wirklich mit den Instrumenten spielen. „Wie das Leben so spielt, sind die Papageien dann meistens bei den Instrumenten wenn gerade keine Besucher zuschauen“, erzählt Bellmann. „Weil wann immer ein Besucher da ist, zieht sich der Vogel entweder ganz oben zurück oder er kommt dem Besucher entgegen, ist aber nicht beim Musikinstrument." Im Moment seien vor allem die vielen neuen Menschen interessant. "Ich denke, dass da ein Gewöhnungseffekt eintreten wird und dass dann die Instrumente wieder interessant sein werden, die sie ja eigentlich sehr mögen", vermutet die Papageienheim-Leiterin. "Aber ich bin sehr gespannt, wie lange das dauern wird.“
Kunst mit tierischem Zeitmaß
Wie hat Martin Breindl in einem Interview im Anschluss an die Präsentation von metamusic vergangenen November bei unserem ICAS Partner Festival CYNETART so schön gesagt? Wer sich vornimmt ein Projekt für Papageien zu machen, der muss auch deren Zeitmaß ernst nehmen. Begegnet man der metamusic mit menschlicher Ungeduld, dann wird man sie wahrscheinlich nicht hören.
(1) In der so genannten Wissenschaftsgruppe sind jene Papageien, die die Künstler/innen von alien productions bereits kennen und die auch schon musizierender Weise in Graz, Schiltern und Dresden mit waren.
Susanna Niedermayr
Weiterführende Links:
Höhenrausch 2015
metamusic
ARGE Papageienschutz
ORF musikprotokoll im steirischen herbst