Ausnahmen bei Netzneutralität sorgen für Kritik

Anfang der Woche gab es nicht nur einen Kompromiss bei den Roaming-Gebühren, Unterhändler von EU-Parlament und Mitgliedsstaaten haben sich auch beim heiß umkämpften Thema Netzneutralität grundsätzlich geeinigt. Dabei geht es um die Frage, ob Netzbetreiber ihre Daten gleichberechtigt durch die Leitungen schicken, egal woher sie kommen. Kritiker befürchten schwerwiegende Nachteile für Unternehmen, aber auch für private Internetnutzer.

Morgenjournal, 4.7.2015

"Bezahlte Überholspuren im Internet legalisiert"

Netzneutralität ist ein sperriges Wort, heißt aber nichts anderes, als: Kein Inhalt darf schneller durch die Leitungen geschickt werden als ein anderer. Auch wenn ein Unternehmen noch so viel für ein Extra-Service bezahlt. Nach dem vorliegenden Kompromiss bekennt sich die EU nach wie vor zu dieser Netzneutralität, allerdings - und hier kommt der Haken aus Sicht der Kritiker - soll es auch Ausnahmen geben. Für "Spezialdienste" soll es möglich werden, dass sie Vorrang auf dem Datenhighway bekommen. Als Beispiele werden dafür zum Notrufe über das Internet oder Tele-Medizin genannt.

Kritiker wie Thomas Lohninger von der Initiative für Netzfreiheit fürchten, dass es dabei nicht bleibt: "Was hier beschlossen wurde, heißt zwar Netzneutralität, aber im gleichen Atemzug wurden auch die bezahlten Überholspuren im Internet wurden legalisiert."

Nachteile für private Internet-Nutzer?

Tatsächlich ist die Formulierung zu den Spezialdiensten sehr allgemein gehalten. Lohninger befürchtet, dass auf diese Art zum Beispiel auch Video-Streaming-Dienste von großen Unternehmen Vorrang bekommen könnten. Den Nachteil hätten Unternehmensgründer mit innovativen Ideen, aber auch andere kleinere Unternehmen, die sich die Zusatzkosten nicht leisten können.

Nachteile hätten dadurch auch die ganz normalen Internet-Nutzer. "Der konkrete Unterschied wäre, dass nur noch die großen amerikanischen Konzerne übrig bleiben, die, die es sich leisten können, für so eine Überholspur Geld auszugeben. Dass insgesamt die Vielfalt am Markt abnehmen wird, dass es für einkommensschwache Schichten schwierig wird, Zugang zum vollen Internet zu bekommen, und dass auch die Dienste, für die ich heute schon Geld zahle wie Netflix oder Spotify, teurer werden, weil die sich das Geld zurückholen müssen, das sie künftig an die Internetprovider abgeben müssen."

"Innovation nimmt ab"

Das, was jetzt beim Thema Netzneutralität auf dem Tisch liegt, lässt sehr viele Hintertüren offen, sagt auch Heinz Wittenbrink von der Fachhochschule Joanneum in Graz. Und auch er befürchtet, dass es für innovative Unternehmen schwerer werden könnte, erfolgreich zu sein. Und er nennt das Beispiel der Video-Plattform Youtube:
"Als Youtube an den Markt ging, hat niemand Youtube gekannt. Die konnten das Internet damals mit einem innovativem Service nutzen und haben sich sehr schnell durchgesetzt. Wenn diese Regelungen greifen, wären sie gegenüber anderen Inhalte-Anbietern benachteiligt, die es sich jetzt schon leisten können, sich bei den Telekoms einzukaufen."

Für die Kunden könnte das bedeuten, dass sie nicht das bestmögliche Service bekommen, weil die Innovation im Internet abnimmt. Heinz Wittenbring betont, dass es sich noch nicht um den endgültigen Text handelt, und hofft noch auf Änderungen. Er nennt als Vorbild die USA: Dort hat die zuständige Regulierungsbehörde die Netzneutralität ganz klar festgeschrieben.