Ein Film über die Krise als Geschäftsmodell

"Wer Rettet Wen? - Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit" heißt ein Dokumentarfilm des deutschen Regieduos Leslie Franke und Herdolor Lorenz. Der Film wurde zum Großteil durch Tausende Spender und NGOs finanziert.

Kulturjournal, 9.7.2015

Seit der Premiere am 11. Februar ist der Streifen an vielen Hundert Orten in Europa gespielt worden, auch schon in Österreich. Inzwischen gibt es ihn als DVD und zum Download.

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Am 9. Juli ist "Wer rettet wen?" beim Filmfestival "Kino wie noch nie" im Wiener Augarten zu sehen, am 9. und 10. Juli in Graz und am 10. Juli in Jennersdorf im Burgenland.

Wer rettet wen?

Die Hauptschuldigen der Griechenlandkrise seien die Finanzmärkte und die Politiker, die diesen Märkten dienen. Das ist der Tenor vieler Kommentare der letzten Tage und Wochen. Vom ehemaligen Weltbank-Chef Joseph Stiglitz über den österreichischen Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister bis zum Philosophen Slavoj Zizek. Stimmen, die einen Schuldenschnitt für Griechenland und ein Ende der Austeritätspolitik weltweit fordern, solche Stimmen schwellen zum Chor an. "Wer rettet wen" ist der aktuelle Film dazu. Er liefert das größere Bild aus vielen Puzzlesteinen.

Spanien habe es ja auch geschafft, hört man oft. Dort gebe es dank Sparpolitik wieder ein Wirtschaftswachstum. Der Film lässt die Menschen auftreten, auf deren Kosten das geht: "Wenn die Leute hier für 3 Euro die Stunde arbeiten, stehen die Dinge ziemlich schlecht! Sehr schlecht."

Entwicklungsländer in Europa

Enorme Schlangen vor Arbeitsämtern. Polizisten, die zwecks Delogierung einer Familie eine Wohnungstür aufbrechen. Geschäfte, leer durch Bankrott oder leer, weil sie nie bezogen wurden; da sie zu Spekulationsobjekten gehören, die von der geplatzten Immobilienblase stehen geblieben sind. Ärzte und Anwälte, die für Krisenopfer gratis arbeiten. Großfamilien, in Kleinwohnungen zusammengeschart. "Wer rettet wen" liefert solche Bilder aus Griechenland, Spanien, Irland. Viele europäische Staaten sind für einen Teil ihrer Bürger Entwicklungsländer geworden; noch Abgesicherte leben zwischen vielen Millionen zerstörten Existenzen; das macht der Film erlebbar.

Auch die Bilder des kreativen, in der Regel gewaltlosen Widerstandes ähneln sich überall. Der Film zeigt auch, wie solcher Widerstand wenn auch nur punktuell erfolgreich sein kann. Eine Anwältin in Spanien leitet die Besetzung einer Bankfiliale, die bei Kreditschuldnern Delogierungen durchführt.
Daraufhin finden sich für eine Reihe der Betroffenen Kompromisslösungen.

Verdienen, bis es kracht

Vor allem aber erklärt der Film. Und zwar genau solche Sachverhalte, die Normalverbrauchern so oft den Durchblick erschweren: Zum Beispiel, warum Banken lange Zeit so schwungvoll Kredite vergaben, ohne die Bonität der Kunden allzu streng zu prüfen. Weil sie mit den Krediten durch so genannte Swaps blendend verdienten und immer noch verdienen. Swaps sind Kreditausfallsversicherungen. Und wie das Geschäftsmodell funktioniert, erklärt im Film einer, der es mit erfunden hat: Der aus Australien stammende Satyajit Das, der inzwischen aus dem System ausgestiegen ist und in Büchern und Artikeln ausgepackt hat. Er ist die Saulus-Paulusfigur des Films.

"Ein konkretes Beispiel: Sie sind eine Bank, Sie geben einem Kunden einen Kredit. Sie tragen das Risiko, falls der Kunde keine Zinsen zahlt, oder das Darlehen nicht zurückzahlt. Normalerweise können Banken da gar nichts machen, sie mussten das Risiko eingehen. Man muss einen gewissen Betrag an Kapitalreserven halten. Das heißt, bei einem auf fünf Jahre ausgelegten Darlehen musste das Kapital dafür auch fünf Jahre lang in den Bilanzen bleiben. Bis es zurückgezahlt war, konnten die Banken die Gelder nicht wiederverwenden. Aber mit einem Kreditausfall-Swap kauften sie eine Versicherung gegen das Risiko, dass der Kunde nicht zahlt. Damit hatten die Banken nun die Macht, mehr Kredite zu vergeben, und sobald sie genug davon hatten, versicherten oder bündelten sie sie, und verkauften sie weiter.

Dadurch konnten Banken, vereinfacht gesagt, viel mehr Kredite vergeben, als sie Geld hatten", erklären die Regisseurin Leslie Franke und Herdolor Lorenz. "Und die Banken verdienen daran, aber das ist riskant. Das heißt, wenn einmal eine große Zahl die Kredite nicht mehr bedienen kann, dann krachen die Versicherungen zusammen; so ist ja die Finanzkrise auch entstanden. Das heißt, die Banken haben damit gewettet!"

Umverteilung nach oben

Doch - muss man die Banken nicht etwa retten, damit es zu keinem großen Crash kommt? "Die führenden Wirtschaftswissenschaftler der Welt haben alle immer schon gesagt, man muss nicht ‚die Banken‘ retten. Nehmen wir die Deutsche Bank. Bei der Deutschen Bank ist es so, nach ihren eigenen Auskünften: 96 Prozent des Umsatzes werden mit Derivaten und Vermögensverwaltung gemacht, das heißt, mit Wetten. Nur 4 Prozent sind überhaupt noch mit der realen Wirtschaft verbunden. Man könnte es so machen, wie man es in Island gemacht hat: Die 96 Prozent dem Insolvenzrichter übergeben, und die 4 Prozent könnte man retten und in eine neue Bank überführen. So hat man’s in Island gemacht, wunderbar hat das geklappt; mit dieser Politik dieser Nicht-Rettung des großen Kapitals haben die die besten Erfolge. Da gibt’s viel höhere Wirtschaftswachstumsraten, als bei uns überhaupt noch denkbar sind."

Man stößt auf viele Details, die man zwar schon gehört, aber im täglichen Faktenhagel längst vergessen hat. So zum Beispiel, dass der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi, also einer der großen Player in den Verhandlungen mit Griechenland, zwischen 2002 und 2005 Vizepräsident bei der Investmentbank Goldman Sachs war. Goldman Sachs hatte Griechenland in den späten 1990ern geholfen, durch Swaps Staatschulden zu verstecken, aufgrund derer ein Eurobeitritt eigentlich gar nicht hätte erfolgen dürfen. Ein blendendes Geschäft für Goldmann Sachs. Davon muss Mario Draghi doch gewusst haben, meint einer der Experten im Film.

"Wer rettet wen" ist ein emotionaler, aber kein pamphletistischer Film. Ist nicht einseitig parteiisch, aber ergreift Partei; gegen ein System, das - und so viel lässt sich nachweisen - Vermögen nach oben umverteilt und Europa ein bis vor wenigen Jahren undenkbares Armutsproblem beschert hat.