Lokalaugenschein im Primärversorgungszentrum

Derzeit gibt es erst eines der geplanten Primärversorgungszentren, die die Spitalsambulanzen entlasten sollen. Die Idee: Mehrere Ärzte, Therapeuten, Pfleger und Sozialarbeiter schließen sich zusammen und behandeln die Patienten umfassend - auch am Wochenende oder zu Tagesrandzeiten -, damit sich nicht nur Patienten den Weg ins Spital sparen, sondern auch die Kosten im Gesundheitssystem gesenkt werden können.

Im Mai wurde dieses erste Primärversorgungszentrum im Wiener Gemeindebezirk Mariahilf eröffnet. Ein Lokalaugenschein.

Mittagsjournal, 20.7.2015

Mittwoch, 17 Uhr. Im Eingangsbereich der modern eingerichteten Ordination melden sich gerade zwei Patienten bei den beiden Ordinationshilfen an. Im Wartezimmer nebenan sitzen zwischen einer und fünf Personen. Das ändert sich ständig, denn länger als fünf Minuten warten die Patienten hier nicht. Die kurzen Wartezeiten und die langen Öffnungszeiten sind auch die Hauptgründe für die meisten Patienten, hierher zu kommen.

„Mir gefällt es da recht gut, weil mehrere Ärzte im Haus sind und weil die Ordinationszeiten richtig super sind“, sagt eine Patientin. Eine andere ergänzt: „ Ja, es ist angenehmer, wenn man weiß, es geht weiter und man net sitzt den ganzen Tag, des is ja klar.“ Ein Patient: „Ich find´s sehr praktisch, weil ich mich nicht vorher anmelden muss tagelang vorher, sondern einfach hingehen kann, wenn ich will.“

Von in der Früh ab 7.00 oder 8.00 bis 13.00 Uhr und von 14.00 bis 19.00 Uhr hat das Primärversorgungszentrum in Mariahilf das ganze Jahr über geöffnet. Urlaubsbedingte Schließzeiten gibt es nicht, allerdings bleibt das Zentrum am Wochenende zu. Der Wochenendbetreib wäre derzeit zu teuer, sagt Franz Mayrhofer. Er ist einer der drei Allgemeinmediziner im Primärversorgungszentrum. Neben den drei Ärzten gibt es sechs Ordinationshilfen , die abwechselnd Dienst haben, und jeden Vormittag einen Krankenpfleger, der Wunden verbindet, Blut abnimmt oder Infusionen anhängt. Ab Herbst wird auch ein Sozialarbeiter acht Stunden in der Woche hier sein, zum Beispiel um Patienten nach einer Spitalsentlassung Heimhilfen zu organisieren, und eine Psychotherapeutin wird für ebenfalls acht Stunden in der Woche dazukommen, sagt der Arzt Franz Mayrhofer: „Wir haben das Problem, dass, wenn wir den Leuten zum Beispiel sagen, sie bräuchten eine Psychotherapie, dann schicken wir die Leute auf den Weg und sehr viele Leute gehen verloren, weil sie einfach sich nicht auskennen oder nicht imstande sind, sich das zu organisieren. Und die Psychotherapeutin, die hier arbeiten soll, soll natürlich Krisenintervention beherrschen, aber sehr wesentlich ist, dass die wissen, an welche Stelle muss ich welchen Patienten hinschicken.“

Patienten, die in das Primärversorgungszentrum kommen, können wählen, von welchem anwesenden Arzt sie behandelt werden. Alle Ärzte können sämtliche Patientendaten und Befunde im Computer einsehen.

Müssen Patienten rasch zum Röntgen oder zum Facharzt, arbeitet das Primärversorgungszentrum eng mit dem nahegelegenen Ambulatorium der Wiener Gebietskrankenkasse zusammen, erklärt Franz Mayrhofer: „Das sind dann auch wirklich die Patienten, wo wir den Ambulanz-Besuch vermeiden können. Weil es gibt oft Situationen, hat der Patient jetzt eine Lungenentzündung oder nicht, wenn ich den Patienten ins Ambulatorium schick´ und er kommt eine Stunde später mit einem Röntgenbefund zu mir und ich kann sagen, ja, das ist eine Pneumonie, kriegt er Antibiotikum, ist es keine Pneumonie, gehen‘s nach Hause und trinken‘s einen Tee, dann erspare ich dem Patienten, ins AKH reinzufahren, unter Umständen fünf Stunden zu warten und unter Umständen eine riesige diagnostische Maschine da in Gang zu setzen.“

Die Entlastung der Spitalsambulanzen ist eines der Hauptziele der Gesundheitsreform. Ganz in der Nähe des Primärversorgungszentrums liegt das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern. Es sei allerdings zu früh zu sagen, ob die Notfallsambulanz tatsächlich entlastet wird, so der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses Thomas Pavek. Denn auch das Primärversorgungszentrum müsse erst so richtig anlaufen: „Das ist auch eine Frage, wie es von den Patienten angenommen wird, auch das wird einige Zeit dauern, aber ich denke, in ein, eineinhalb Jahren wird man konkrete Zahlen nennen können.“

Wenn das Team komplett ist, wird das Primärversorgungszentrum nach Ansicht von Franz Mayrhofer mehr sein, als die Gruppenpraxis, die er schon davor mit den Kollegen von Medizin Mariahilf geführt hat. Die Öffnungszeiten seien länger, die Versorgung der Patienten umfassender, die Arbeit als Arzt vor allem mit Familie leichter zu organisieren. 210.000 Euro bekommt das Primärversorgungszentrum jährlich von der Stadt Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse, um den zusätzlichen Aufwand zu finanzieren. Dass es erst eines davon gibt und auch der Widerstand der Hausärzte dagegen groß zu sein scheint, will der Arzt Franz Mayrhofer nicht verstehen: „Wenn es uns nicht gelingt, solche Modelle zu etablieren, dann wird die Allgemeinmedizin keine Zukunft haben.“

Denn der Beruf des Allgemeinmediziners in einer Einzelordination werde aufgrund hoher Kosten und langer Arbeitszeiten für junge Ärztinnen und Ärzte zunehmend unattraktiv.