Köhlmeier: "Das Mädchen mit dem Fingerhut"

Ein neues Buch des Vorarlberger Autors Michael Köhlmeier kommt nächste Woche in die Buchhandlungen: Nach dem komplexen Geschichtspanorama "Abendland" und dem 650-Seiten-Epos "Die Abenteuer des Joel Spazierer" ist es ein vergleichsweise schmaler Roman: "Das Mädchen mit dem Fingerhut" erzählt die Geschichte eines Kindes, das allein in einer westeuropäischen Stadt auftaucht.

Morgenjournal, 30.1.2016

"Eine Geschichte, die unter die Haut geht"

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Michael Köhlmeier, "Das Mädchen mit dem Fingerhut", Hanser Literaturverlag

Das Mädchen ist sechs. Wir wissen nicht, woher sie kommt, wir wissen nicht, welche Sprache sie spricht, warum sie allein ist, wo ihre Eltern sind, ob sie überhaupt noch leben. Yiza heißt das Mädchen. Wahrscheinlich. So genau weiß das auch Michael Köhlmeier nicht, sagt er. Und es sei ihm auch nicht klar gewesen, was auf Yiza zukommen werde. Also begleitet er sie - Schritt für Schritt. Von einer Straßenkreuzung zum Markt, weiter zu Bogdan, der ihr in seinem Laden zu Essen gibt, sie übernachtet in einem Müllcontainer, wird von der Polizei in ein Kinderheim gebracht, mit zwei älteren Buben haut sie wieder ab und so stand Michael Köhlmeier vor der Frage: Wie kommt dieses Mädchen durch den Winter?

Der nüchterne Beobachter

In der Rolle des nüchternen Beobachters folgt der Autor dem Mädchen, scheinbar ohne Empathie und ohne zu bewerten beschreibt er akribisch genau ihre Überlebensstrategien. "Alles, was sie tut ist einem elementaren Bedürfnis geschuldet. Sie hat Hunger und möchte etwas essen, ihr ist kalt und sie möchte etwas zum Anziehen. Sie ist vollkommen auf sich allein gestellt, in einem Land, das sie nicht kennt. Diesen Lebensschritten der Person nachzugehen, das war elementar anders, als alles, was ich bisher geschrieben habe", so der Autor.

Klare Sprache & lakonischer Ton

Wenn Michael Köhlmeier ganz nah dranbleibt an seiner Figur, unterstreicht er das durch sein literarisches Verfahren: eine einfache, klare Sprache, kurze Sätze und einen lakonischen Ton, der hier auf die Spitze getrieben wird. "Mir ist immer suspekt, wenn ich den Autor durchhöre in seiner Sprache. Ich glaube, dass jede Geschichte ihre ganz bestimmte Form erfordert. Natürlich hätte ich dieses Buch nicht so schreiben können, wie das 'Abendland'."

Offener Brief zum Asylrecht

Als Beitrag zur Flüchtlingsdebatte habe er dieses Buch jedenfalls nicht geschrieben, betont Köhlmeier. Er habe das Werk bereits fertig gehabt, bevor das eingesetzt ist. Jetzt, da man weiß, dass soundso viele unbegleitete Kinder in Europa unterwegs sind, würde man auch ein Buch wie "Huckleberry Finn" anders lesen. Seine Meinung hat Michael Köhlmeier zuletzt mit mehr als 30 Autorenkollegen in einem offenen Brief kundgetan, "tief besorgt, dass der Umgang mit dem Asylrecht völlig kippt".

Michael Köhlmeier überzeugt mit dem Roman "Das Mädchen mit dem Fingerhut", einer Geschichte, die unter die Haut geht.