Hommage an den Hut im Wien Museum

Ob Zylinder, Wagenrad-Hut oder Kopftuch: Kopfbedeckungen aller Art dienen nicht nur dem Schutz vor Regen, Wind und Sonne, sondern sagen auch viel über die soziale und kulturelle Zugehörigkeit ihrer Trägerinnen und Träger aus. Eine Ausstellung im Wien Museum zeigt "Chapeau! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes".

Wiener Alltagsszene um 1900

Wiener Alltagsszene um 1900

EMIL MAYER/WIEN MUSEUM

Vom Revolutionsjahr 1848 bis in die Gegenwart spannt sich der historische Bogen der Ausstellung. Das Wien Museum präsentiert neben Exponaten aus seiner umfangreichen Modesammlung auch zahlreiche private Leihgaben. Heute wird die Schau eröffnet.

Mittagsjournal, 8.6.2016

Service

Wien Museum - Chapeau! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes
9. Juni bis 30. Oktober 2016

Politische Symbolkraft

Zylinder oder Kalabreser? So lautete die entscheidende Frage des Jahres 1848 und bedeutete so viel wie: Reaktion oder Revolution? Der breitkrempige Kalabreser, der Hut der italienischen Aufständischen des Risorgimento, war das Symbol des Widerstands; später beanspruchte das erstarkte Bürgertum den Zylinder für sich, der sich schließlich gegen die Arbeitermützen behaupten musste. Im ersten der fünf Ausstellungsabschnitte geht es um die politische Symbolkraft von Hüten, die auch noch im Nationalsozialismus eine wichtige Rolle spielte.

Adele List war die bekannteste Wiener Modistin der NS-Zeit; sie kreierte, auch in Abgrenzung zum starken französischen Einfluss, den sogenannten "Neuen Deutschen Stil". Schlicht schwarz und einfach geformt war dann der politische Hut der Nachkriegszeit.

"Wir haben den Hut von Leopold Figl, den er bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages getragen hat. Er ist ganz neutral", sagt Barbara Staudinger, die die Ausstellung zusammen mit Michaela Feurstein-Prasser konzipierte. "Die Zeit davor war sehr Hut-dominant. In einer Werbung von der SPÖ heißt es: 'Schluss mit den Hüten, wir wollen Köpfe.' Figls Hut bildet eine gute Klammer: Er ist neutral wie der neue Staat." Da ging die gesellschaftliche Dominanz des Hutes jedoch langsam ihrem Ende entgegen.

Wer darf was tragen?

Über Jahrhunderte hatte es klare Regeln gegeben, wer was tragen durfte und wer vor wem den Hut ziehen musste. Auch mit der Auflösung der ständischen Gesellschafsordnung blieben Kopfbedeckungen unausgesprochene Macht- und Statussymbole - an denen sich im letzten Jahrhundert auch die Frauenbewegung abgearbeitet hat.

Marlene Dietrich in weiter Hose oder Anzug, mit Kappe oder Zylinder wurde auch in Wien vielfach kopiert: Die Aneignung typisch männlicher Kleidungsstücke war eine deutliche Botschaft. Das wusste auch die Schriftstellerin und Hut-Sammlerin Elfriede Gerstl. "Sie sagte: Einen Männerhut in Floridsdorf zu tragen, ist eine derartige Anmaßung, das kriegt ein weibliches Wesen auch zu spüren", so Barbara Staudinger.

Texte von Elfride Jelinek u. a.

Über dieses Ausgelacht-Werden, wenn sie mit ihrer Freundin Elfriede Gerstl durch die Wiener Innenstadt ging, schreibt auch Elfriede Jelinek in einem Beitrag, den sie für den Ausstellungskatalog geschrieben hat. Eine Ur-Lesung des Textes samt Modeschau mit Gerstl-Hüten wird bei der heutigen Eröffnung geboten.

Im Katalog finden sich auch Beiträge von Stefanie Sargnagel und Robert Menasse; er hat der Schau eine jüdische Kippa zu Verfügung gestellt, die ihm seine nach Israel emigrierte Tante geschenkt hatte. Religiöse Kopfbedeckungen sowie der Aufstieg der großen Wiener Hutmanufakturen und deren Niedergang ab den 1960er Jahren bilden weitere Themen der Ausstellung im Wien Museum, die am Ende gegenwärtige Kreationen aus der Modeschule Hetzendorf präsentiert; hier findet sich heute die einzige Modisten-Ausbildung im deutschsprachigen Raum.

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