NHM WIEN/LOIS LAMMERHUBER
Dimensionen
Ein urzeitlicher Spaziergang durch Wien
Bis vor 13 Millionen Jahren verlief bei Wien die Küste des Badenischen Meeres. Das Leithagebirge und die Hainburger Berge ragten damals als Inseln aus dem Wasser. Die warmen Wassertemperaturen und die seichten, an die heutigen Weinberge plätschernden Wellen müssen paradiesisch angemutet haben.
11. Dezember 2017, 02:00
Eine Stadt aus dem Meer
Dimensionen (13 11 2017)
Die Geschichte der Meere auf dem Boden des heutigen Wiens ist lang und abwechslungsreich. Im Laufe von hunderten Millionen Jahren gab es hier so ziemlich alles – von der Tiefsee bis zum seichten tropischen und subtropischen Gewässer.
Eine Küste entlang der Westautobahn
Begonnen hat alles mit dem Ur-Meer, dem Tethysmeer. Vor 250 Millionen Jahren lag es in einer riesigen Bucht im Osten des Superkontinents Pangäa, der aus allen damaligen Landmassen bestand.
Vor etwas mehr als 30 Millionen Jahren spalteten sich verschiedene Meere von der Tethys ab. Im Norden entstand das Meer der Paratethys. Die Küstenlinie dieses riesigen Meeres verlief ungefähr dort, wo heute die Westautobahn steht. Bei Melk lebten in dichten Mangrovenwäldern Alligatoren, bei Horn entwässerte der „Ur-Kamp“ ins Meer. Im heutigen Stettn im Weinviertel befindet sich als Überbleibsel dieses Meeres das größte fossile Austernriff – es ist geschätzte 16 Millionen Jahre alt.
Ein Meer im Wandel der tektonischen Verschiebungen
Rund 30 Millionen Jahre lang gab es das Parathetys Meer. Im Laufe dieser Zeit hat sich die Meeresbeschaffenheit immer wieder stark verändert. Durch tektonische Verschiebungen änderte sich das Klima und die Tierwelt. Man spricht beispielsweise vom Eggenburger Meer, vom badenischen und zuletzt vom Sarmat- Meer. Getauft hat man diese Meeresperioden nach den Orten der jeweiligen Leitfossilien, die man zur Einordnung der Gesteine herangezogen hat.
Die sichtbare Meeresgeschichte Wiens
Die Meeresgeschichte Wiens ist längst nicht mehr unter der Erde vergraben, sondern hat sich in Hausmauern, Denkmälern und Bodenplatten verewigt. So kann man im Steinboden neben dem Burggarten Urzeit-Muscheln finden. Viele Ringstraßenbauten sind aus lokalem Gestein, etwa dem Leithakalk, ein Gestein des badenischen Meers, errichtet worden.
An den Fassaden von Hofburg, Denkmalsockeln oder Museumsgebäuden lassen sich bei genauem Hinsehen zahlreiche Muscheln, Schnecken oder Kalkskelette erkennen. So kann man zum Beispiel in der Außenwand des Naturhistorischen Museums fossile Pilgermuscheln finden. Die Wand besteht also aus einem Stück fossilen Meeresboden, der vor ca. 16 Millionen Jahren im Jungtertiär abgelagert worden ist.
In der U-Bahn durch die Tiefsee
Flysch hingegen ist ein Gestein, dass Zeuge aus der Zeit der Tiefsee ist. Es war einst der Boden des Penninischen Ozeans, eines Tiefseegrabens im Urzeit-Meer, der Tethys. Als sich die Alpen herausbildeten, wurde Flysch hochgepresst – weit über den heutigen Meeresspiegel ins Gebirge. Das schichtartig gestapelte Gestein lugt überall im Wienerwald aus dem Boden.
Viel ist in Wien aus Flysch gebaut worden, obwohl er ziemlich porös und nicht gerade witterungsfest ist. Otto Wagner verwendete Flysch für den Bau der Stadtbahn und die Auskleidung des Wien Kanals. Im U-Bahn Tunnel fahren wir an vielen Stellen durch die Tiefsee - rechts und links ist der Tunnel aus Flysch. Ein Gestein, das sogar bereits das Universalgenie Leonardo da Vinci beschäftigt hat, weil man mitunter erstaunlich symmetrische Anordnungen von Spurenfossilien auf ihm finden kann.
APA/HELMUT FOHRINGER
Säulenhalle im Wiener Parlament
Ob Parlament oder Stephansdom - überall Spuren der Tiefsee
Auch die Säulen der Demokratie im Parlament sind Produkte der Tiefsee. Als "Tiefseeschlamm" bezeichnet der Geologe Mathias Harzhauser die 8,5 Meter hohen, rot-weiß marmorierten Säulen. Denn was wie Marmoraussieht, ist eigentlich verfestigter Kalkschlamm. Die Flecken und Sprenkel im Marmor sind Einschlüsse von ehemaligen Seelilien. Man kann auch immer wieder angeschnittene Schalen von Ammoniten, das sind Verwandte von Tintenfischen, erkennen.
Der rot-grau glänzende Stein heißt Adneter Marmor und stammt aus Adnet bei Salzburg. Seit der Antike verwendet man diesen leicht zu verarbeitenden, und poliert wunderschön glänzenden, Stein besonders gern für Prachtbauten. Im Stephansdom glänzt er genauso wie an der Hofkirche von Innsbruck.
Meere und Kontinente bewegen sich noch immer
Vor 11,6 Millionen Jahren verschwand auch das parathetische Meer, die Nachfolgerin der Tethys, in Wien. Ein Brackwassersee hielt sich noch einige Zeit, vor neun Millionen Jahren war Wien dann ganz trocken.
Aber auch heute noch verändern sich Meere und Kontinente. Zukunftsmodelle sagen voraus, dass Afrika irgendwann wieder an Europa andocken wird. Dann würde das Meer ein großes Stück weiter weg von Wien wegrücken