Szenenbild "Der Rüssel"

REINHARD WERNER/BURGTHEATER

Uraufführung

Ein Elefant im Porzellanladen unserer Gesellschaft

Wolfgang Bauers verschollen geglaubtes und kürzlich wiederentdecktes Werk "Der Rüssel" aus dem Jahr 1962 nimmt Klimawandel und Flüchtlingskrise vorweg. Ab Freitag ist es im Akademietheater zu sehen.

Morgenjournal | 20 04 2018

Katharina Menhofer

Der 2005 verstorbene Grazer Autor Wolfgang Bauer galt in den 70er Jahren neben Thomas Bernhard und Peter Handke als einer der bedeutendsten Dramatiker der Nachkriegszeit. Mit dem skandalträchtigen Stück "Magic afternoon" erlangte er auch internationalen Erfolg. Eines seiner frühen Werke, das absurde Drama "Der Rüssel" galt viele Jahrzehnte als verschollen und wurde vor drei Jahren in einem Archiv wiederentdeckt. Heute Abend wird es in der Regie von Christian Stückl im Wiener Akademietheater uraufgeführt. Es spielen unter anderem Branko Samarovski, Peter Matic, Stefanie Dvorak oder Barbara Petritsch.

Frau und drei Männer sitzen an einem Tisch

Barbara Petritsch (Heloise Tilo), Christoph Radakovits (Gregor Tilo), Simon Jensen (Schoscho Tilo), Branko Samarovski (Ulpian Tilo)

Reinhard Werner/Burgtheater

Ein idyllisches Alpendorf gerät in Aufruhr. Meterlange Nacktschnecken werden gefunden (und sogleich gebraten), riesige Palmen beginnen überall zu wachsen und ein Elefant, der in einer Gewitternacht in einem Erdloch auftaucht, versetzt die Menschen in Euphorie und Schrecken.

Absurdes Drama

Ohne Zweifel, Wolfgang Bauers Drama "Der Rüssel" gehört zu seinen absurden Werken, von denen er vor allem in seiner Spätphase viele geschaffen hat. Dieses wiederentdeckte Werk hat er allerdings schon mit 21 Jahren, 1962 geschrieben. Das Stück war 2015 im Nachlass des Leibnitzer Komponisten Franz Koringer aufgetaucht. Als Regisseur Christian Stückl es durch das Burgtheater in die Hand bekommen hat, hat er zuerst einmal geseufzt.

Frau mit roten Haaren und Mann in grünem Kostüm

REINHARD WERNER/BURGTHEATER

Stefanie Dvorak (Kellerbirn Anna), Sebastian Wendelin (Florian Tilo)

Oh Gott, was ist das?

"Oh Gott, was ist das, hab ich mir gedacht", so Christian Stückl, der 2002 bis 2012 den Jedermann in Salzburg inszeniert hat und derzeit das Münchner Volkstheater leitet. Das Stück habe kein Lektorat gehabt, musste stark gekürzt und gerafft werden und habe sich erst mit der Zeit erschlossen. Da aber hätte sich gezeigt, dass Wolfgang Bauer schon vor 55 Jahren brennend heutigen Themen aufgegriffen hat.

Klimawandel und Flüchtlingskrise

"Da wird’s heiß in den Bergen, da kommt der Elefant, das Fremde herein, und ich hab mir gedacht, ist das ein Kommentar auf unsere heutige Zeit?", so Stückl. "Man hat den Klimawandel und die Flüchtlingssituation drinnen, alles in übersetzter Form. Und auch wenn das von Wolfgang Bauer vielleicht nicht so gemeint war, weil Afrika für ihn eigentlich ein Sehnsuchtsland war, wo er sich hingewünscht hat, war der erste Eindruck, dass er eine Gesellschaft beschreibt, in die etwas Fremdes hereinbricht, und die letztendlich daran zerbricht. Irgendwie steckt das in dem Stück stark drinnen."

Kapitalismuskritik

Der alles verschlingende Elefant, darf wohl auch als Metapher für den Kapitalismus interpretiert werden. Er kurbelt den Tourismus an und befeuert Gier und Größenwahn, und den anfangs visionären, rebellischen Bauernsohn Florian, verwandelt die Macht, die er als Besitzer des Elefanten hat, in einen brutalen Diktator.

Wir schaffen das nicht

"Wir schaffen das" rufen die Menschen im Dorf, angesichts der neuen Tatsachen, um schließlich grandios daran zu scheitern. Christian Stückl: "Ich glaube auch, dass wir es nicht schaffen werden, weil unsere Gesellschaft in keinem guten Zustand ist, wir werden aggressiv und böse zueinander, der Antisemitismus, die Fremdenfeindlichkeit nehmen zu, und die Politik tut nichts - es geht entweder um Abgrenzung und Ausgrenzung oder um ein Umarmen, aber nicht um Integration. Richtig angreifen tut es niemand. Ich bin pessimistisch was das anbelangt."

Falk Rockstroh (Trauerstrauch), Markus Meyer (Wolkenflug)

REINHARD WERNER/BURGTHEATER

Am Ende sind Florian, der Elefant und der Kaplan tot, und die Gesangskapelle Hermann, die das Stück musikalisch begleitet, stimmt ihr letztes Lied an: "Wia früher wird’s nimma werdn".

Dass das Drama "Der Rüssel" viele Jahrzehnte lang ruhte, und erst in unserer Zeit wiederaufgetaucht ist, wo es als pessimistischer Zeitkommentar gelesen werden kann, mag man der Ironie des Schicksals zuschreiben. Dass es eine neue Wolfgang-Bauer-Renaissance auslöst, ist aber eher unwahrscheinlich.

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