Zwei Hände halten ein Horn

(c) RSO Wien/Julia Wesely

Symbiotisch

Ö1 und das RSO Wien

Das Radioprogramm Ö1 und der Klangkörper RSO Wien führen eine symbiotische Beziehung. Ohne einander wären Beide nicht wiederzuerkennen.

Ungefähr 50 Mal pro Tag hören Ö1-Hörer/innen das RSO Wien, genauer gesagt Musiker/innen des ORF Radio-Symphonieorchester Wien, ohne daran zu denken, dass sie gerade das RSO Wien hören.

Die Ö1 Signations

So oft würden sie das zumindest hören, wenn sie das Radio einen Tag lang auf der passenden Frequenz eingeschaltet lassen würden; oder den Ö1-Stream hören. So viel machen allein die Signations aus, die vom RSO Wien eingespielt wurden. Das war zu Zeiten der Kennmelodien von Werner Pirchner genauso wie zu den jetzigen Zeiten der Signations von Christian Muthspiel. Und selbstverständlich ist das jetzt erst der Auftakt. Eine Signation eben.

Musikalische Bildung

Seit der Gründung - vor circa 100 Jahren - dessen, was wir heute öffentlich-rechtlichen Rundfunk (samt inzwischen Fernsehen und Internet) nennen, sind kleinere und größere Klangkörper konstituierender und essenzieller Bestandteil dieses Rundfunks und seiner - zu Beginn - hauptsächlich live-übertragenen Musik. Das Musizieren mit hauseigenem Ensemble hat seinen Grund darin, dass "öffentlich-rechtlich" von Anbeginn an - als Herzstück eines umfassenden Auftrags - einen noch spezielleren, auch musikalischen Bildungsauftrag hatte. Oft wird im Zusammenhang mit Rundfunkorchestern deswegen sogleich musikalisch argumentiert, aber es geht natürlich in Wahrheit um das große Ganze: "Bildung" in einer demokratischen Gesellschaft bedeutet als Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Darstellung und vor allem auch für die Produktion von Vielfalt an möglicher und wahrnehmbarer Bildung zu sorgen.

So stand und steht das auch in den diversen Rundfunkgesetzen seit hundert Jahren, Berichterstattung UND Produktion von zeitgenössischer Kunst. Gemeint war und ist dieser Bildungsauftrag politisch, alltagskulturell, historisch, gesundheitsbezogen, literarisch, was auch immer noch, und eben auch musikalisch. Ob nun Wagners "Ring des Nibelungen" in einer kammermusikalischen Quintettbesetzung in den frühen 1930er Jahren live gesendet wird oder eine Uraufführung von Olga Neuwirth durch das RSO Wien im 21. Jahrhundert, es läuft auf das genau Gleiche hinaus: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zuständig für das, was eine durchkommerzialisierte Welt ansonsten den Menschen im Land nicht bieten würde. Dafür ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk da. Politisch wie musikalisch, historisch wie alltäglich. Das war vor hundert Jahren nicht anders als es heute ist.

Über den mainstream hinaus

Also zur Musik auf Ö1 und der Rolle des RSO Wien dabei. Die vorhin angedeutete Aufgabenstellung, nämlich zuständig zu sein für das, was eine durchkommerzialisierte Welt ansonsten nicht bieten würde, hat auch musikalische Konsequenzen. Während beispielsweise die meisten Orchester des Landes mit hoffentlich einer gewissen Fantasie und Qualität sich um das klassisch-romantische Fach bewegen - das ist ja immerhin auch die Epoche, der wir die Entstehung des Klangkörpers Orchester verdanken -, ist es der Programmgestaltung eines Radio-Symphonieorchesters eingeschrieben, sich neben Brahms und Bruckner auch um weniger mainstreamiges Repertoire zu kümmern. Die Repertoire-Möglichkeiten diesbezüglich sind quasi endlos, riesig und atemberaubend, und ein Blick in die Programme des RSO Wien der letzten Jahrzehnte bezeugt auch genau dies. Es gab und gibt ja eben auch ein durchaus interessantes 20. und 21. Jahrhundert. Und das ist auch genau die öffentlich-rechtliche Aufgabe bezüglich Bildungsauftrag und Bildung jenseits dessen, was traditioneller oder kommerzieller organisierte Orchester über die Saison hinweg anbieten.

Relevanter Player

Selbstverständlich kommen dann auch immer Fragen nach Fakten und Zahlen. Der Intendant des Wiener Konzerthauses Matthias Naske hat das in jenem Konzert am 24. Februar 2023, das auf die Androhung der Auflösung des RSO folgte, bei einem kurzen Auftritt vor Konzertbeginn auch benannt: 628 Auftritte hat das RSO seit seiner Gründung allein im Wiener Konzerthaus absolviert, darunter 103 Uraufführungen und 98 österreichische Erstaufführungen dargeboten. (Selbstverständlich war jede Minute davon in Ö1 zu hören.) Eigentlich ist so eine Orchesterstatistik atemberaubend, vor allem, wenn man noch dazurechnet, dass es einen ähnlichen Konzertabonnementzyklus ja auch im Wiener Musikverein gab und gibt, dass ähnliche Programmierungen auch bei Festivals wie den Salzburger Festspielen oder den Wiener Festwochen gepflegt werden. Und dann noch - seit der Gründung beider 1968 bzw. 1969 - die alljährlichen Uraufführungsauftritte des RSO Wien beim Festival "musikprotokoll im steirischen herbst" und seit dessen Gründung auch beim Festival "Wien Modern". Uraufführungen en masse.

Das RSO als Opernorchester

Dass das RSO Wien auch ein Filmmusikorchester – von Schönbergs „Moses und Aron“ in der legendären 1975er TV-Regie von Jean-Marie Straub bis zu „Kater“ von Händl Klaus - ist, möge ebenso noch angemerkt sein, wie die eminente Bedeutung des RSO Wien als Opernorchester, nicht nur aber häufig bei den Salzburger Festspielen - Harrison Birtwistles Salzburger „Gawain“ Inszenierung mit dem ungeheuer schwierig zu spielenden Orchesterpart ist ikonisch - und selbstverständlich regelmäßig im Theater an der Wien.

Phänomenale Opernaufführungen von beispielsweise Benjamin Britten trugen zum Bildungsauftrag für die Opernbesucher wie auch für die Ö1-Hörer/innen bei. Opern von Hans Werner Henze und der jungen Komponistin Lera Auerbach wurden genauso zum Erfolg, wie rare Opern von Giuseppe Verdi oder Hector Berlioz.

Genug der Aufzählungen nun, es fehlen noch Hunderte von Beispielen, ganz zu schweigen von den - mal andersrum - Tourneen mit österreichischem, auch zeitgenössischem Repertoire nach Deutschland, Frankreich, Spanien; Japan, China, Südkorea oder USA.

Das Konzertprogramm in Ö1

Ö1 und das RSO Wien: Das RSO Wien spielt, ganz grob und generalisierend gesagt, im Konzertleben jede Woche ein neues Programm mit zumeist eben auch rarem oder gar ganz neuem Repertoire, von wegen Bildungsauftrag der mütterlichen Medienanstalt. Das Radioprogramm Ö1 derselben mütterlichen Medienanstalt lässt jede Minute dieses gespielten Repertoires in sorgfältigen, aufwändigen, mitreißenden Programmen und Konzertübertragungen hören, oft auch in der alten Tradition der live-Übertragung, wie sie in Zeiten, in denen es noch keine verlässlichen "Tonträger" gab, ja einfach notwendig waren. Sie, die live-Übertragungen, sind heute noch das Prickelndste der alltäglichen und essenziellen Zusammenarbeit von RSO Wien und Ö1. Ohne einander wären Beide nicht wiederzuerkennen.

Hunderte Uraufführungen

Und zuletzt noch zur, sagen wir, harten Währung, zu den wirklichen Ur- und Erstaufführungen. Natürlich kann ein Klangkörper aus der klassisch-romantischen Epoche nicht leben und nicht Publikum gewinnen ohne genau dieses klassisch-romantische Repertoire. Aber seltsamerweise übersehen so viele andere Orchester, dass mit Komponisten wie Bartok und Schostakowitsch, wie Aaron Copland und Leonard Bernstein, wie Olivier Messiaen und Pierre Boulez, wie Cerha, Schwertsik und Gruber, und so fort, eine Menge an klassisch-romantischer Klangpracht im 20. Jahrhundert so unglaublich geblüht hat. Die Hörer/innenschaft von Ö1 liebt diese Vielfalt der Programmgestaltung des RSO Wien ebenso wie das Orchester selbst. Es werden wohl so an die 700 lupenreine Uraufführungen sein, viele auch vom Orchester selbst oder vom ORF-Festival musikprotokoll in Auftrag gegeben, die das RSO Wien in den letzten gut fünfzig Jahren gespielt hat. Dann gibt es auch eine etwas schwieriger zu eruierende Zahl an mindestens gleichvielen österreichischen Erstaufführungen - siehe Mathias Naskes Diktum weiter oben - und anderen Premieren, die man mitrechnen könnte und sollte. Und wenn man nun noch mitbedenkt, dass allein die Produktion und mehrmalige Aufführung in Konzerthäusern around the world der hundertzwei Orchesterminiaturen ab dem Jahr 2009 genau genommen mindestens ebenso viele Uraufführungen waren, rasselt die Zahl der Ur- und Erstaufführungen, die das RSO der Welt geschenkt und in Ö1 präsentiert hat, ziemlich locker gen mehrere Tausend. Und die RSO-Seitensprünge mit FM4 mit Chilly Gonzales über Calexico zu Cari Cari sind da noch gar nicht mitgerechnet. Und dann eben, wie eingangs angemerkt, dutzende Signations pro Tag auf Ö1!

Anders gesagt: Das Radioprogramm Ö1 und der Klangkörper RSO Wien führen eine symbiotische Beziehung, es ist ein ganzes, riesiges, kulturelles, musikalisches, finanzielles, österreichisches sowie internationales, künstlerisches Ökosystem.
"Forever" heißt die Orchesterminiatur von Medienkünstlerin Andrea Sodomka für das RSO Wien.

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