Klaus Höring

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Schauspieler des Jahres

Klaus Höring

Eine Würdigung von Stefan Weber, Ö1 Hörspiel-Regisseur

Klaus Höring (geb. 1934) hat nach dem Abschluss am Max Reinhardt Seminar viele große Bühnen bespielt. Wiener Volkstheater, Bayerisches Staatsschauspiel, Burgtheater Wien etc. 1965 steigt er mit Goethes "Die natürliche Tochter" ins Hörspiel ein, es folgen während der nächsten knapp sechs Jahrzehnte weit mehr als 50 Neuproduktionen im ORF. (Ersparen Sie mir all die berühmten Namen!) Den jüngsten Auftritt hatte er im "Wartezimmer" von Daniel Wisser, gesendet Ende 2023. Wir feiern mit ihm nicht nur die Wahl zum Schauspieler des Jahres, sondern auch den Hörspiel-Zeitzeugen Klaus Höring. Herzliche Gratulation von ganzem Herzen!

Ich will gern von einem Tag zusammen mit ihm berichten. Es war mir eine Ehre: Freitag, 1. Oktober 2021, es ist kurz nach elf Uhr und sehr still in der Schnecke, dem fast schalltoten Raum im Hörspielstudio an der Wiener Argentinierstraße. Und ja, nervös bin ich. Klaus Höring wird kommen und den Sprecher in Ludwig Fels’ Hörspiel "Was siehst du? Die Nacht!" spielen. Ich kenne ihn nicht persönlich. Ich habe während des telefonischen Vorgesprächs nur seine fein ziselierte, alte Stimme gehört. Der Erzähler als Rolle erscheint bisweilen simpel, das ist der, der die Struktur eines Stückes übersichtlich macht, zusammenfasst oder Ruhe ins Geschehen bringt.

Fels’ Sprecher aber ist einer, der radikal seine Haltung verzerrt, hadert, um sich schlägt. Den es nach Gewalt und Frieden verlangt, während er einen Vater mit dessen Tochter in einem Güterwagen vom Ghetto Lodz nach Auschwitz in den Tod begleitet. Ein brutaler Grat.

Plötzlich steht der 87-jährige Klaus Höring jetzt da, gibt mir fest die Hand. Und weiß nicht, ob er es schaffen wird. Er zweifelt nicht an dem Text. Vielleicht aber an der Zumutbarkeit.

Es gibt keine zusätzlichen Tonmeister in der Regie, wir haben uns allein in die Schnecke zurückgezogen und setzen uns an den Aufnahmetisch. Wir sprechen leise, gehen die Szenen durch. Pausen dazwischen. Nachdenken.

Irgendwann sucht er sich seine erste Passage im Manuskript. Ich drücke den Aufnahmeknopf. Und er beginnt mit einer der Stille trotzenden Kraft den ersten Satz:

Die Welt ist kein Kino, das Leben kein Film, und trotzdem ziehen ständig Bilder am Auge vorbei …

Es ist der Moment, ein Ohrenblick, der alles öffnet, lichtet, schärft. Manchmal vibrieren die Lippen zwischen dem Sprechen, er hält inne. Durchatmen. Nächstes Take, keine Pause, immer weiter. Seine Stimme wechselt Farbe, Temperatur, Jahreszeit, sie verführt, bricht, sie tobt, schlägt um sich, alles immer gegen innen. Die Stimme, nicht Klaus Höring, hält nicht aus, was sie erzählt. Immer weiter. Die Rage ist so zerbrechlich, so am Schluss, so da in Auschwitz. Er hat die Töne getroffen, die am Ohr vorbeiziehen, das Hörspiel wird Raum, Bild.

Später, alle Szenen sind aufgenommen, wollen wir uns verabschieden, er hat seine Mappe unterm Arm, ist müde, wir stehen am Ausgang des Studios, und er beginnt zu erzählen. Er hat’s erlebt, er hat beide Seiten durchlebt, die Kriegsgewalt in den 1940er Jahren und danach seine lebenslange Suche nach Frieden. Er hat lang erzählt, im Stehen, eigentlich im Gehen schon. Hat sein Leben jetzt in diese Rolle gelegt. Ich bin ihm für diesen Tag unendlich dankbar! Weiter, immer weiter, lieber Klaus Höring!