Gedanken für den Tag

von Reinhold Stecher. "Weihnachten kann man riechen"

Und trotzdem: Weihnachten kann man riechen. Es riecht nach Tannenzweigen, Keksen und Weihrauch - ein Duft, der nicht jedem liegt, manchen sogar an das Diktum vom "Opium für das Volk" erinnert. Dennoch ist es gut, wenn der Weihrauchduft in dieser Zeit aus dem Bereich des Sakralen ausbricht und in die Räume des Alltags wandert, findet der Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher.

Am 22. Dezember wird der Theologe, Bergsteiger, passionierte Maler und Autor Reinhold Stecher 90 Jahre alt. Aus seinem Buch "Die leisen Seiten der Weihnacht" hat der bekannte Innsbrucker Altbischof Texte zu den turbulenten und zu den stillen Momenten der letzten Tage vor Weihnachten gelesen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Die Freude drängt nach Mitteilung. Was uns der Alltag in 1000 Spielarten lehrt, haben zwei große Geister in eine faszinierende Form gegossen. Friedrich von Schiller und Ludwig van Beethoven in der "Hymne an die Freude", dem Schlusschor der 9. Symphonie. Vielleicht ist die Sprache jener Zeit für uns eine Spur zu pathetisch, aber in der Schlussabrechnung der Geschichte wird es trotzdem stimmen: Dass strahlende Herzen und leuchtende Augen unter den Menschen mehr Gemeinsamkeit geschaffen haben als geballte Fäuste und aufgerissene Mäuler. Darum gilt es zeitlos: Alle Menschen werden Brüder wo dein sanfter Flügel weilt.

Die ekstatische Verzauberung der Seele, wie die Freude einmal genannt wurde, ist sicher ein wirklich segensreicher ansteckender Bazillus in der Gesellschaft. Wenn diese rissige und verdorbene Erde trotz aller Bedenklichkeiten und Enttäuschungen, die sie birgt, doch hie und da die Melodie zu hören bekommt: Seid umschlungen Millionen, einen Kuss der ganzen Welt - Dann verdankt sie das sicher der strömenden Freude und nicht der messerscharfen Kritik, mag diese noch so berechtigt und notwendig sein.

Leute, die sich die Mühe machen, sorgsam Worte auszuzählen, haben festgestellt, das Alte Testament stellt die Freude 200 mal, das Neue Testament 100 mal in die Mitte des gläubigen Daseins. Ich kann also auf Einzelzitate verzichten und nur noch einmal auf den besagten himmlischen Geist verweisen, der den Leitartikel über die Menschwerdung Gottes mit dem Satz begonnen hat: Ich verkünde euch eine große Freude. Und dabei hat er eigentlich noch ein wenig Understatement getrieben, denn es müsste natürlich heißen: Ich verkünde euch die große Freude schlechthin. Die Freude ist das lachende Gebet.

Service

Buch, Reinhold Stecher, "Die leisen Seiten der Weihnacht", Verlag Tyrolia

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 111222 Gedanken für den Tag / Reinhold Stecher
Länge: 03:49 min

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