Gedanken für den Tag

19. Jänner 2013, 06:56

Auf meinen Wegen durch die Wiener Innenstadt komme ich oft am Stephansdom vorbei. An der Außenseite des Domes sind neben vielen Grabsteinen auch zwei Skulpturen eines Mannes in mittlerem Alter zu sehen. Er ist tödlich verwundet. Doch trotzdem ist er lebend dargestellt, vom Schmerz gezeichnet, aber lebend. Die Skulpturen stellen Jesus Christus dar, den Schmerzensmann. Die eine, eine Halbfigur, befindet sich in einer Nische an der Außenwand der Apsis. Sie wird der Zahnwehherrgott genannt. Die andere steht neben dem Singertor. Beide Skulpturen sind etwa 600 Jahre alt, beeindruckende Arbeiten. Mich erstaunt immer wieder, mit welcher Innigkeit hier an einem viel begangenen Ort der Schmerz dargestellt wird, mit welcher Offenheit die Wunde gezeigt wird. Dabei ist kein Vorwurf in den Figuren enthalten. Sie sind einfach da, ein Teil des öffentlichen Lebens.

Doch inmitten des öffentlichen Lebens der Gegenwart stehen diese beiden Gestalten wie Fremdkörper. Schmerz und Wunde werden heute nicht öffentlich gezeigt. In den Schaufenstern wird die Schönheit gefeiert. Auf den Straßen herrscht das Bemühen, mit den Bildern der Schaufenster Schritt zu halten. Schmerz und Wunde können nur die Störung eines Bildes sein, das die Makellosigkeit der Haut preist. Die meisten der Vorübergehenden werden mit dem Mann, der seine Wunden so offen zeigt, der so deutlich vom Schmerz gezeichnet ist, nichts mehr anfangen können.

Was sollte mit ihm auch angefangen werden? Womit sollte ein Anfang gemacht werden? Vielleicht mit einer anderen Sicht auf das Leben, einer Sicht, die aufmerksam auf jene Bereiche achtet, die von den herrschenden Bildern verdeckt werden.

Service

Buch, Gustav Schörghofer, "danke tausendmal. Wie positives Denken und Dankbarkeit das Leben verändern", Verlag Styria

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