Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Was können Worte schon verändern?

Wer Kindern die Welt erklären will, hat eine besondere Verantwortung. Das wissen ganz besonders Autorinnen und Autoren, die für Kinder schreiben. Kinderbücher prägen für den Rest des Lebens. In Kinderbüchern vermittelte Werte und Haltungen geben modellhaft vor, wie vielleicht später einmal, im Erwachsenenalter, Entscheidungen gefällt werden.

Nur zu verständlich, dass vor kurzem ein deutscher Kinderbuchverlag seine Klassiker auf Formulierungen hin durchsuchen hat lassen, die in unserem heutigem Sprachgebrauch fragwürdig oder anstößig sind. Im Besonderen ging es um Begriffe wie "Neger", ein Wort, das vor Jahrzehnten noch als völlig harmlos empfunden wurde, heute aber eine klar diskriminierende Bedeutung hat.

Diese Entscheidung hat eine Diskussion ausgelöst über die Frage, ob Texte aus der Vergangenheit nur deshalb überarbeitet werden müssen, weil sie heute so nicht mehr formuliert werden können. Oder ob es nicht besser wäre, auch bei Kinderbüchern, die ursprüngliche Sprache beizubehalten, um eben auch zu demonstrieren, welche Denk- und Sprachmuster einmal üblich waren und zum Glück heute überwunden sind.

Die österreichische Autorin Christine Nöstlinger hat, von einer deutschen Zeitung befragt, ob heute eindeutig rassistisch besetzte Begriffe aus alten Kinderbüchern entfernt werden sollten gemeint: "Rassismus ist eine Gesinnung, die schafft man nicht ab, wenn man Worte abschafft." Worte schaffen Wirklichkeit - aber verändert sich die Wirklichkeit, wenn die Worte sich ändern? Oder anders gefragt: Haben Worte tatsächlich die Macht, die ihnen gemeinhin zugesprochen wird, wenn es um die Veränderung von Einstellungen und Haltungen geht?

Als Protestant, als Angehöriger einer Kirche, die gerne als "Kirche des Worts" bezeichnet wird, ist mir die Diskussion um Bedeutung und Wirkung von Worten besonders vertraut. Wenn im biblischen Zusammenhang vom "Wort" die Rede ist, ist meistens das "Wort Gottes" gemeint. Dabei geht es nicht um Wörter, sondern um die Botschaft, die der gläubige Mensch hört, wenn er sich Gott als dem großen Gegenüber und Kristallisationspunkt seines Lebens zuwendet, sei es im Gebet, sei es in der Reflexion der Heiligen Schriften. Aus der Beschäftigung mit der liebevollen, dem Menschen zugewandten Botschaft des Glaubens, aus der Reflexion des "Worts" also, lassen sich dann viele Wörter machen. Und so entstehen dann gerne einmal theologische Debatten über Themen, die letztendlich Spitzfindigkeiten sind, wo Wörter gegen Wörter ausgespielt und das große Ganze aus dem Blickfeld gerät.

Da ist es schon gut, dass sich Religionen, Glaubensüberzeugungen, an ihrer Wirkung, an ihren Auswirkungen messen lassen müssen. Ganz besonders in einer säkularen und multireligiösen Welt, in der ich ganz selbstverständlich davon ausgehen muss, dass es jedem Mitmenschen zusteht, meine religiöse Überzeugung ausdrücklich nicht zu teilen.

Worte sind nicht der Ersatz für Handeln, können aber Impulse geben, damit Handeln geschieht. Oder können Dinge ans Licht bringen, die sonst nicht gesehen werden. Indem z.B. denen, die nicht zur Wort kommen, eine Stimme gegeben wird. Die Asylwerber, die im Augenblick in der Wiener Votivkirche Zuflucht gesucht haben, machen auf Probleme aufmerksam, von denen wir lieber nichts hören würden. Probleme, die da waren, aber nicht gehört wurden. Sie versuchen ihre Anliegen selbst, mit Nachdruck, selbst unter Gefährdung ihrer Gesundheit, zu artikulieren. Weil Menschen in ihrer Situation bisher niemand wirklich zugehört hat. Das, was sie zu sagen haben, ist jetzt so in der Öffentlichkeit platziert worden, dass es gar nicht mehr überhört werden kann.

Vielleicht lässt es sich so sagen: Worte allein verändern noch nicht die Wirklichkeit. Es geht darum, dass sie gehört werden. Aber ein genaues Hinhören auf das, was wirklich gemeint ist, das bleibt nicht ohne Wirkung.

Um auf die alten Kinderbücher zurückzukommen: Mag sein, dass fragwürdige Formulierungen aus vergangenen Zeiten heutigen Kindern nicht mehr zumutbar sind. Entscheidend ist, was sie und wir hören, wenn ein diskriminierender Begriff verwendet wird: Hören wir ein Beispiel für ein Denken, das zum Glück schon längst überholt ist. Oder hören wir ein altes Vorurteil, das nur zu gerne auch heute wieder hervorgekramt wird. Dann ist es nur zu sinnvoll, ganz genau hinzuhören, welche Bedeutung mit einem Wort oder mit bestimmten Wörtern einhergeht - bevor diese wieder eine unglückselige Wirkung entfalten.

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