Radiodoktor - Medizin und Gesundheit

Placebos - Heilung durch Einbildung?

Der Placeboeffekt (lat. placebo bedeutet ich werde dir gefallen) ist schon seit längerem als wichtige Begleiterscheinung bei klinischen Medikamentenstudien bekannt. Während die eine Gruppe das zu erprobende Medikament bekommt, erhält die andere - ohne es zu wissen - ein Scheinmedikament, ein Placebo. Also z.B. Traubenzucker in Form einer Pille, die optisch vom Medikament nicht zu unterscheiden ist, aber keinerlei Wirkstoffe enthält. Und bei den meisten Studien kommt es auch bei jenen Patienten, die Placebos erhalten, zu einer Besserung der Symptome. Manchmal fast im gleichen Ausmaß wie durch das echte Medikament.

Was den Machern der Medikamentenstudien ein Dorn im Auge ist, wollen andere gezielt zum Wohle der Patientinnen und Patienten einsetzen. Die deutsche Forschungsgesellschaft fördert seit 2010 Studiengruppen, die dem Placeboeffekt auf den Grund gehen. Denn er kann nicht nur störend sein - im Gegenteil: Er kann die Wirkung von Medikamenten verstärken und die Selbstheilungskräfte anregen. Und vielleicht auch den Bedarf an Medikamenten und damit die möglichen Nebenwirkungen reduzieren.

Denn hat der Körper einmal gelernt, dass durch die Einnahme eines bestimmten Medikaments die Schmerzen verschwinden, dann kann für eine gewisse Zeit diese Wirkung auch bei Einnahme eines Placebos erreicht werden. Neben der Konditionierung gibt es aber auch durch die Arzt-Patienten-Kommunikation einen Placeboeffekt. Bei guter Betreuung kann ein Arzt die Wirkung eines Medikaments beim Patienten fördern. Bei schlechter Kommunikation hingegen können die ungewünschten Nebenwirkungen zunehmen. Und das sogar dann, wenn der Arzt dem Patienten ein wirkungsloses Placebo verschrieben hat. Dies wird als Noceboeffekt bezeichnet.

Welchen Einfluss die Arzt-Patientenbeziehung auf die Heilung hat, zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie, bei der mit Oxytocin, dem Bindungshormon, gearbeitet wurde. Was sonst in der Partnerschaft für ein Zusammengehörigkeitsgefühl sorgt, wurde den Probanden in die Nase gespritzt, bevor sie durch den Arzt behandelt wurden. Jene, die das Bindungshormon über die Nase aufnahmen, hatten deutlich mehr Vertrauen in die Therapie durch den Arzt als jene Gruppe, die nur eine wirkungslose Salzlösung bekam.

Aber ist das relevant für die Praxis? Ist es ethisch vertretbar, dass ein Arzt ohne das Wissen des Patienten ein Placebo verschreibt? Können Placebos heilen oder nur Symptome lindern? Und hilft ein Scheinmedikament selbst dann, wenn der Patient davon weiß?
Diese Fragen wird Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez Lobos dem deutschen Placeboforscher Dr. Paul Enck stellen. Über die Arzt-Patienten-Beziehung wird unser zweiter Sendungsgast, der Allgemeinmediziner Dr. Walter Heckenthaler, sprechen. Und über die Aussagekraft von klinischen Studien und die Sinnhaftigkeit von Placeboforschung klärt uns der Pharmakologe Dr. Michael Freissmuth auf.

Eine Sendung von Mag. Dominique Stiefsohn
Redaktion: Dr. Christoph Leprich, Mag. Nora Kirchschlager

Service

Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth
Vorstand des Instituts für Pharmakologie der Meduni Wien, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der Meduni Wien
Medizinische Universität Wien
Währinger Str. 13a
A-1090 Wien
Tel.: +43/1/40160 31371
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MR Dr. Walter Heckenthaler
Allgemeinmediziner, Sportmedizin, PSY I - Psychosoziale Medizin, Akupunktur
Hohe Wand-Straße 36/3
A-2344 Maria Enzersdorf
Tel.: +43/2236/22458
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Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Paul Enck
Universitätsklinikum Tübingen, Medizinische Klinik und Poliklinik, Abteilung Innere Medizin VI, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Osianderstr. 5
D-72076 Tübingen
Tel.: +49/7071/29 86719
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Placebo wirkt im Rückenmark

Anh Le, "Ich glaube, also werde ich gesund."- Das Geheimnis des Placeboeffekts, Grin Verlag 2013

Deutsche Bundesärztekammer, Placebo in der Medizin, Deutscher Ärzte-Verlag 2011

Hildegard Tischer, Heilende Einbildung: Medizin zwischen Placebo-Effekt und Wunderheilung, Verlagshaus der Ärzte 2009

Johann Caspar Rüegg, Mind & Body: Wie unser Gehirn die Gesundheit beeinflusst, Verlag Schattauer 2010

Nadine Reiband, Klient, Therapeut und das unbekannte Dritte: Placeboeffekte in der Psychotherapie und was wirklich wirkt, Verlag Carl-Auer 2010

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