Gedanken für den Tag

von Hubert Gaisbauer, Publizist und Kunstexperte. "Nicht Meißeln und nicht Malen verschafft Seelenfrieden" - Zum 450. Todestag von Michelangelo Buonarroti. Gestaltung: Alexandra Mantler

Michelangelo war von eher kleiner, gedrungener Gestalt, die Nase schon früh vom Faustschlag eines neidischen Konkurrenten verunstaltet. In den Augen Schwermut, die Hände übermäßig groß. Hinter einer rauen Schale verbarg sich ein unendlich liebendes Herz.

"Wenn der Himmel mit den Liebenden ist, o Freund, und die Erde liebeleer, warum bin ich dann überhaupt geboren?", so dichtete er. Seine homoerotische Neigung hat er weder versteckt noch bestritten. Doch seine Liebessehnsucht gestattete sich keine erfüllende Gegenliebe. Also legte er sie ganz in die Schönheit, in die Kraft und in den Schmerz seiner Kunst.

Michelangelo hat die Frauen hochgeschätzt, seine in Worten so zärtliche Liebe zu Vittoria Colonna, der Sonette schreibenden Marquesa von Pescara, gibt davon Zeugnis. Im Fresko vom Sündenfall an der Decke der Sixtina bietet Michelangelo ein Plädoyer zu Gunsten der Frau an.

Bei ihm ist der Mann nicht der Verführte des Buches Genesis, der, wie alle Mitläufer, den Anderen die Hauptschuld gibt oder wie es im Buch Genesis heißt: "Das Weib, das du mir beigesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß". Bei Michelangelo wird der Mann der aktiven Täterschaft überführt. Da liegt Eva entspannt und schön an eine Steingruppe hin gelehnt und nimmt gelassen die angebotene Frucht entgegen; Adam jedoch reckt sich aufgerichtet und streckt sich nach einer Feige. Fast hat es den Anschein, als wolle er der Schlange eine besonders saftige Frucht vor dem lügenhaften Mund wegpflücken. Die Gier spricht bei Michelangelo nicht aus der Frau, sondern aus dem Mann.

In seinen meisterhaften Madrigalen und Sonetten bekennt Michelangelo immer wieder, wie er unter Selbstzweifel und Schuldgefühl leidet.

"Gier ward mein Brot, das Sterbliche mein Gott. /
In welches Leben bin ich - hemmungslos - geraten!"

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Julius da Modena
Titel: Ricercare a 4
Ausführende: Accademia strumentale italiana, Leitung: Alberto Rasi
Länge: 02:00 min
Label: Stradivarius STR 33396

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