Spielräume - Nachtausgabe

Zu ebener Erde und erster Stock. Wien als Schule und Heimat. Über Wiener Musik. Gestaltung: Helmut Jasbar

Städte haben ihren unverwechselbaren Klang. Die Musikerinnen und Musiker aus diesen Städten beziehen sich selbstverständlich auf dieses Erbe. Sie erleben sich als Teil einer langen Reihe von Ohrenzeugen, die ihrer Stadt "gelauscht" haben und das Gehörte in ihren eigenen Sprache weitergeben. So findet jede Stimme ihren Platz in diesem Konzert, sie wird zu einer Farbe unter vielen im "Gesang der Stadt". Wie ist es, den Wiener Stil, die Wiener Aura einzufangen für die Heutigen, für die diese Tradition nicht mehr unbedingt nachvollziehbar ist? Wiener World Music?

Mit: Ingrid Eder und Iris Mochar
Es musizieren: Heidelinde Gratzl, Rudi Gratzl, Georg Breinschmid, Oskar Aichinger, Helmut Bohatsch, Paul Skrepek, Milosz Jara, Jovan Torbica und Skero

Bänkelsänger mit Fidel oder Drehleier
Das Wienerlied entstand wie alle Liedtraditionen: aus dem Bedürfnis der Menschen nach Erzählungen, dem Bedürfnis nach Weitergabe von Erlebtem oder Erdachtem, geschuldet dem Wunsch, sich zu erinnern und erinnert zu werden. Bei Kirtagen und Volksfesten traf man stets auf Bänkelsänger. Ihr Name kommt von dem kleinen Podest ("Bänkel"), auf das sie sich stellten, um beim Singen besser gehört zu werden. Es wird uns nicht verwundern, zu hören, dass es sich bei ihnen um Boten handelte; Überbringer von Nachrichten über Wunder, Verbrechen, Naturkatastrophen, schreckliche Schicksalsschläge und Spontanheilungen Todgeweihter, die den Menschen Seufzer abrangen. Begleitet von Fidel oder Drehleier versorgten die Bänkelsänger ihr geschichtensüchtiges Publikum. Währenddessen verkauften Familienangehörige des Sängers Papiere mit gemalten Szenen aus den vorgetragenen Geschichten dem meist des Lesens und Schreibens unkundigen Publikum.
Ein Nachrichtenübermittlungssystem
Nach Wien strömte jeder, der etwas zu verkaufen hatte. Aus allen Teilen der Monarchie kamen Verkäufer und boten laut ihre Ware feil. Stimmschonend, aber auch der größeren Aufmerksamkeit wegen, sangen sie das Angebot in kleinen Liedern. Das galt auch für die Kinder, die um Aufmerksamkeit warben: Der "Radibua" verkaufte Rettich und rief: "Rrradi!". Da gab es die "Fliagnfangabuam", die Fliegen gegen Geld fingen, "Brezelbuben" und Blumenmädchen.

Ein guter Nährboden für ein Nachrichtenübermittlungssystem, das keine Leser/innen, sondern Hörerinnen und Hörer hatte. Die städtische Liedtradition ist mit der Urbanisierung Wiens ab circa 1850 eng verknüpft und hatte nicht nur die Aufgabe, zu begeistern und zu belehren, Schaudern oder Freude zu verbreiten, sondern auch über seelische Befindlichkeiten Auskunft zu geben. Die schlichte Botschaft, das alles "hin" sei, war für jedermann und -frau zu allen Zeiten nachvollziehbar.
Verbote und Kommerzialisierung
Aber vor allem besang das Lied die Stadt selbst. Es hebt sanft die Schönheiten der Stadt hervor, aber nicht ohne ein "Trotzdem". Obwohl das Leben nie einfach ist, die "Weanastodt" umschließt uns tröstend. Das Wienerlied dichtet Wien einen Charakter oder gar eine Persönlichkeit an und erweckt dadurch das Besungene erst zum Leben. Die Verheerungen des 20. Jahrhunderts hinterließen ihre Spuren. Der Anschluss an Nazideutschland ging mit einem Verbot der Wienerlieder von jüdischen Textdichtern und Komponisten einher. "Im Prater blüh'n wieder die Bäume" hatte einen jüdischen Textdichter (Kurt Robitschek), auch Hermann Leopoldis Schaffen war betroffen.

Der zweite Schlag, der die Wiener/innen von ihrer gewachsenen Musikkultur endgültig trennte, war die Durchkommerzialisierung der Wiener Musik nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch sie tat sich eine tiefe Kluft zwischen "echter" Volksmusik und Touristenkitsch auf. Danach fristete die Musik der Wiener/innen ein Minderheitendasein, vom Rest der Österreicher/innen nur noch als Sauflied begriffen, nichts weiter als ein Vorwand, um gemeinsam große Mengen billigen Alkohols zu sich zu nehmen.

Doch heute erleben wir eine Renaissance des Wienerlieds, die ihren Gipfelpunkt noch nicht erreicht hat. Was mit Karl Hodina, Roland Neuwirth, Andre Heller - und, ja: Friedrich Gulda in den 1970er Jahren begann, hat das Wienerlied aus seinem Nischendasein geholt. Heute musizieren Die Strottern, Bohatsch & Skrepek, Kollegium Kalkburg und viele andere vor einer stetig wachsenden Fangemeinde. Kann Wien heute noch als Stadt Impulsgeber sein und wenn ja, wie dient Wien als Inspirationsquelle?

Technik: Otmar Bergsmann, Fridolin Stolz
Regie: Kristin Gruber

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Roland Neuwirth
Titel: In dem Herbst
Ausführender/Ausführende: Marcello Onofri
Länge: 03:50 min
Label: manus

Urheber/Urheberin: Friedrich Gulda
Titel: Wann I Geh
Ausführender/Ausführende: Friedrich Gulda
Länge: 11:00 min
Label: Gramola

Urheber/Urheberin: Wolfgang Ambros
Titel: Espresso
Ausführender/Ausführende: Wolfgang Ambros
Länge: 04:50 min
Label: Ariola

Urheber/Urheberin: Skero Gratzl
Titel: Schön
Ausführender/Ausführende: Müßig Gang
Länge: 04:00 min
Label: Live Musik

Urheber/Urheberin: Skero Gratzl
Titel: Duliöh
Ausführender/Ausführende: Müßig Gang
Länge: 05:00 min
Label: Life Musik

Urheber/Urheberin: jazzwerkstatt Wien
Titel: Wean du schlofst
Ausführender/Ausführende: Die Strottern
Länge: 06:20 min
Label: jazzwerkstatt Wien

Urheber/Urheberin: Michael Radanovics
Titel: Wean in Da Sun
Ausführender/Ausführende: Attensam
Länge: 05:20 min
Label: Manus

Urheber/Urheberin: Rühm/Kölz
Titel: Von an Mistküwöh zum anderen
Ausführender/Ausführende: Oskar Aichinger
Länge: 03:00 min
Label: Live Musik

Urheber/Urheberin: Rühm/ Kölz
Titel: Der Komiker
Ausführender/Ausführende: Oskar Aichinger
Länge: 03:00 min
Label: Live Musik

Urheber/Urheberin: E. Drake / Oskar Aichinger
Titel: Es woa a sea guades Johr
Ausführender/Ausführende: Oskar Aichinger
Länge: 04:00 min
Label: Live Musik

Urheber/Urheberin: Helmut Qualtinger
Titel: Heid bin i ned munta wuadn
Ausführender/Ausführende: Helmut Qualtinger
Länge: 02:00 min
Label: Ariola

Urheber/Urheberin: Oskar Aichinger
Titel: Libhazdoi
Ausführender/Ausführende: Attensam
Länge: 03:30 min
Label: Manus

weiteren Inhalt einblenden