Im Gespräch

"Ich gehorche dem kategorischen Imperativ, nach der Wahrheit zu suchen und sie weiterzugeben." Renata Schmidtkunz spricht mit Claude Lanzmann, Filmemacher und Autor (Erstausstrahlung: 5.12.2013)

Der Mann, der heute mein Gast ist, hat sich immer geweigert zu denken oder anzunehmen, dass die große jüdische Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die Shoa, verstehbar sei. Anders als die Philosophin Hannah Arendt, die an die Kraft der Vernunft und des Verstehens glaubte. Aus diesem unmythologischen Ansatz heraus war sie auch der Meinung war, dass das Böse in der Erscheinung von System-Erfüllern wie Adolf Eichmann banal sei. Claude Lanzmann hingegen, der französische Filmemacher und Autor, lässt in seinem Film mit dem Titel "Der letzte der Ungerechten" aus dem Jahr 2013 seinen Protagonisten, den Wiener Rabbiner Dr. Benjamin Murmelstein sagen: "Eichmann war nicht banal. Eichmann war ein Dämon."

Lanzmann, der 1925 in Paris als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde, engagierte sich während des 2. Weltkrieges, als junger Bursche wie seine Geschwister und sein Vater in der Resistance. Ende der 1940-er Jahre kam er in Kontakt mit dem Philosophenpaar Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Ab 1952 gehörte er zum Mitarbeiterstab der politisch-philosophischen Zeitschrift "Les Temps modernes", deren Herausgeber er bis heute ist. Sieben Jahre lang lebte er mit der 17 Jahre älteren Simone de Beauvoir zusammen. Die Freundschaft, die aus dieser Liebe hervorgegangen war, hielt bis zu Beauvoirs Tod im Jahr 1986. Im Alter von 48 Jahren begann ein neuer Abschnitt in seinem Leben: 1973 machte er seinen ersten Dokumentarfilm: In "Warum Israel?" (Pourquoi Israel?) reist er nach Israel und versucht herauszufinden, was es mit diesem jungen Staat auf sich hat, welche Hoffnungen und Erwartungen an ihn gebunden werden, welche Enttäuschungen er für seine Bewohnerinnen und Bewohner verursacht und was das alles mit der SHOA zu tun hat. Empathisch, traurig, amüsant, authentisch - schon damals Eigenschaftswörter, mit denen man seine filmische Arbeit charakterisieren konnte. Zwei Jahre später, 1975, beginnt er mit den Dreharbeiten zu jenem Film, der ihn weltberühmt machen und an dem er 12 Jahre lang arbeiten sollte: Shoa. Ein Versuch, zu fassen, was bis heute unfassbar erscheint. Länge: 9,5 Stunden. Bei der Premiere wird Simone Beauvoir neben ihm sitzen.

Seither sind insgesamt 7 Filme entstanden. Alle von ihnen beschäftigen sich mit der Shoa bzw. Israel.

Sein jüngster Film "Der letzte der Ungerechten" stellt die vom nationalsozialistischen Regime etablierten sogenannten Judenräte und das Ghetto von Theresienstadt ins Zentrum. Ausgehend von Wien, wurden in ganz Osteuropa "Instanzen der Ohnmacht", wie der Wiener Historiker Doron Rabinovici sie so treffend in seinem gleichnamigen Buch nannte, geschaffen: die Judenräte mit ihren Vorsitzenden, den Judenrat-Ältesten. Dr. Benjamin Murmelstein, der Rabbiner in Wien war, wurde 1944 der letzte Älteste des Judenrates von Theresienstadt. Nach dem Krieg lebte er im römischen Exil. Claude Lanzmann fand ihn dort 1975. Aus dem Interview, das er damals führte, entstand nun ein Film, der bei der Berlinale 2013 Premiere hatte.

Service

Claude Lanzmann, "Der patagonische Hase", Autobiografie,Taschenbuch, rororo

"Gesamtausgabe Lanzmann'sches Filmwerke", arte-Edition im Verlag "absolut medien"

Doron Rabinovici, "Instanzen der Ohnmacht. 1938-1945. Der Weg zum Judenrat", Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag

Sendereihe

Gestaltung