Gedanken für den Tag

von Susanne Scholl, Journalistin. "Flucht und andere Neuigkeiten". Gestaltung: Alexandra Mantler

Pessach, ein Fest der Befreiung - und der Flucht

Pessach, aus dem später das christliche Ostern wurde, also. In diesem Jahr in dieser Woche - der christlichen Osterwoche.

In meiner Familie wurde Pessach nicht gefeiert - wir waren nicht religiös. Beim Nachlesen stelle ich fest: Pessach ist sowohl ein Fest der Befreiung, als auch ein Fest einer Flucht. Um dem Zorn der Ägypter zu entgehen mussten die Israeliten sehr schnell ihr Zuhause verlassen. Deshalb das nicht gesäuerte Brot. Weil es eben, wie bei jeder Flucht, sehr schnell gehen musste. Mit dem Auszug aus Ägypten wurden sie aber auch frei von der Unterdrückung, der Bedrohung. Sagt die Bibel.

Aber. Wer so viele Jahrhunderte später an diesen Auszug denkt, denkt wohl vor allem an die Flucht. Alles Gewohnte, lieb Gewordene, Vertraute zurücklassen müssen. Das kann auch für die damaligen Israeliten nicht nur mit Freude verbunden gewesen sein.

Der Auszug aus Ägypten, so scheint es mir atheistischem Wesen, war auch eine Vertreibung. Nahm ihnen Haus und Hof, Sicherheit und Frieden, auch wenn er sie aus der Sklaverei befreite. Zwang sie jedenfalls zur Wanderung durch die Welt.

Wie oft sagt man auch heute zu Menschen auf der Flucht, sie sollten doch froh sein. Froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Froh, die Welt kennen zu lernen. Keiner ist bereit, den Verlust jener anzuerkennen, die alles, womit sie gelebt haben, aufgeben müssen.

Pessach ist für die europäischen Juden zu einem Ritus geworden, den man erfüllt. Auch, weil er daran erinnert, dass nicht nur der Auszug aus Ägypten zum Aufgeben alles Vertrauten zwang. Die Flucht vor Verfolgung und Mord hat die Geschichte der Juden bis heute geprägt. Und nicht nur die ihre. Und wenn ich daran denke, werde ich irre an der Menschheit als solcher. Denn immer noch sind Menschen gezwungen zu fliehen - und werden wegen ihrer Flucht verhöhnt, misstrauisch angesehen, abgelehnt.

Wir lernen also weder aus der Geschichte noch aus der Bibel. Die wir doch - egal welcher Religion man sich zugehörig fühlt - für das wichtigste Buch der Welt halten. Sogar als Atheisten. Pessach also.

Ich habe mit Freunden einen Sederabend gefeiert - und an den Auszug aus Ägypten erinnert. Und daran gedacht, wie viele gerade jetzt auf der Flucht sind. Und so hoffnungslos allein.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Siegmund Schul/1916 - 1944
Album: THERESIENSTADT MUSIK ANTHOLOGIE / Folge 4
Titel: Chassidischer Tanz op.15 Nr.2 : Allegretto
Gesamttitel: ZWEI CHASSIDISCHE TÄNZE, op.15 für Viola u.Violoncello (1941-42)
Untertitel: AL S'FOD (KLAGET NICHT) - Hebräische und jüdische Vokal-und Instrumentalwerke
Ausführende: The Group for New Music /Mitglieder
Ausführender/Ausführende: Michael Kugel /Viola
Ausführender/Ausführende: Felix Nemirovsky /Violoncello
Länge: 02:00 min
Label: Koch International 371732H1

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