Gedanken für den Tag

von Hubert Feichtlbauer, Publizist. "Wie süß ist Sterben fürs Vaterland?". Gestaltung: Alexandra Mantler

Wie kam es, dass auch so viele Österreicher Hitler so lange zujubelten? Sicher gab es dafür mehrere Gründe. Arbeitslosigkeit und wachsendes Elend, sogenannte "starke Männer" am Ruder in vielen Ländern Europas, Frust über parlamentarischen Dauerstreit. Und natürlich die Nazipropaganda.

Von ihr schrieb der Salzburger Historiker Ernst Hanisch im Rückblick, man habe sie bei Bedarf wie "Mysterienspiele" mit "kollektivem Orgasmus" betrieben. "Wollt ihr den totalen Krieg?", brüllte Propagandaminister Goebbels am 18. Februar 1943 der tobenden Masse im Berliner Sportpalast zu, und das ganze Regime berauschte sich am "Ja" der Angebrüllten. Eine andere Sprache redeten die Taufregister: Ab 1943 findet man kaum noch den Namen Adolf, von dem es vorher wimmelte.

Jahrzehnte später quälte sich das österreichische Volk endlich durch eine große Kriegsschuld-Debatte. Endlich fanden auch die Staatsspitzen - Bundeskanzler Vranitzky 1991 im österreichischen und Bundespräsident Klestil 1994 im israelischen Parlament - zur erlösenden Formel: Als Staat war Österreich ein Opfer Hitlers, aber die Österreicher waren Opfer und Täter. Wichtige Ergänzung: und vor allem Zuschauer, Wegschauer, Mitläufer.
Kein Volk kommt ohne Helden aus, die in Zeiten der Prüfung Halt und Orientierung geben. Ihnen gehört für immer unser Dank. Aber in jedem Volk sind diese eine Minderheit - so wie die Bösewichte und Verbrecher. Meist bilden vorsichtige, wie wir sagen "Lebenskünstler" eine Mehrheit, nicht nur im damaligen Österreich. (Das ist jetzt ein Erklärungs-, nicht ein Rechtfertigungsversuch.)

Auch der Zusammenbruch der kommunistischen Gewaltsysteme Europas 1989 bewies es wieder: Tiefem Aufatmen folgt Aufbruchsstimmung, die auf Neubeginn mehr als auf Abrechnung zielt.

Freilich: Kollektive Orgasmen aus Kriegsbegeisterung darf es nie mehr geben!

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie/1866 - 1925
Album: Klaviermusik von Erik Satie
* Gnossienne Nr.1 < 1890 > (00:02:42)
Titel: GNOSSIENNES für Klavier Nr.1 - 6
Solist/Solistin: Yitkin Seow /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Hyperion CDA 66344

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