Gedanken für den Tag

16. Mai 2015, 06:56

Timing

Eltern und Kinder haben oft ein großes Timingproblem. Sind die einen in Eile, gehen es die anderen betont gemütlich an. Das Kind hält es zum Beispiel morgens, wenn man als Erwachsener voll bekleidet an der Haustür wartet, für wahnsinnig wichtig, seine Perlenkette in Ruhe fertig aufzufädeln. Oder am Weg zur U-Bahn bei jedem parkenden Auto stehen zu bleiben und das Kennzeichen laut vorzulesen, während du in zehn Minuten in einer Besprechung sein müsstest. Und obwohl du weißt, dass jedes "Komm jetzt, ich hab's echt eilig" dazu führt, dass das Kind noch gemächlicher dahinschleichen wird, hörst du dich selbst alle drei Meter: "Komm jetzt, ich hab's echt eilig" rufen.

Dabei wolltest du doch diese ganzen Elternsprüche nie-niemals verwenden. "Dann bleibst du eben hier und ich gehe alleine nach Hause" wäre noch so einer, wenn das Kind sich weigert, vom Spielplatz heim zu gehen. Du lässt dich auf den Kompromiss ein "noch kurz" zu bleiben. Und dann noch einmal. Und dann noch "fünf Minuten, aber dann gehen wir wirklich".

Ähnlich verlässlich hält sich das Kind an die versprochenen Zeitangaben beim Fernsehen. Eine Zeitlang hat es begeistert Mitschnitte von Neujahrskonzerten angeschaut, wobei es dabei weniger die, ich darf zitieren, "alten Männer mit den Posaunen" interessiert haben als vielmehr die Balletttänzerinnen. Warum da auch Männer tanzen dürfen, kann das Kind überhaupt nicht verstehen. "Ja warum denn nicht?", frage ich. "Weil sie keine schönen Kleider haben", sagt das Kind. "Wieso wollen die ohne schöne Kleider tanzen?" "Gut", sage ich, "ich werde den tanzenden Männern sagen, dass sie sich das nächste Mal gleich ins Orchester setzen und ihre Posaunen auspacken".

Das Kind klatscht begeistert in die Hände. Mit Ironie haben es die Vierjährigen noch nicht so.

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