Gedanken für den Tag

von Walter Friedl, Außenpolitik-Journalist bei der Tageszeitung Kurier und Theologe. "Ich bin immer ich". Gestaltung: Alexandra Mantler

"Ich bin immer ich", heißt es in einem Gedicht von Ingeborg Bachmann: "Sklaverei ertrag ich nicht. Ich bin immer ich. Will mich irgend etwas beugen. Lieber breche ich. Kommt des Schicksals Härte. Oder Menschenmacht. Hier, so bin ich und so bleib ich. Und so bleib ich bis zur letzten Kraft. Darum bin ich stets nur eines. Ich bin immer ich. Steige ich, so steige ich hoch. Falle ich, so falle ich ganz."

Schonungslos, kompromisslos - Ingeborg Bachmann eben, wie sie leibte und lebte. In wenigen Versen verdichtet die große Meisterin der Sprache in so wunderbarer und machtvoller Art die, meines Erachtens, einzig sinnvolle und erfüllende Herangehensweise ans Leben: selbst zu sein, authentisch zu sein - komme da, was wolle.

Ich bin immer ich.

Und wenn ich ich bin, dann bin ich so da, wie ich bin: mit Ecken und Kanten. Und das ist gut so, denn ohne klare Konturen verschleiert sich der Blick aufs Wesentliche.

Wenn Chefs etwa kantige Typen als störend oder anstrengend empfinden, produzieren sie bloß gleichförmige Kugeln, die völlig planlos in jede x-beliebige Richtung rollen. Schützende Barrieren können sie so nie bilden - wenn es wirklich darauf ankommt.

Nur ein aufrechter, ehrlicher und fester Gang durchs Leben hinterlässt Spuren. Folgende Generationen können in diesen wandeln. Fehlen diese Wegmarken, wird es sie gehörig "wandeln".

Darum: In unserer unübersichtlich gewordenen Welt ist das Bachmann-Credo aktueller denn je. "Ich bin immer ich." Nicht Persönlichkeiten, die sich mit Allerlei aufblasen - seien es Anabolika, oder sei es abgründiger Müll aus dem Internet -, geben Halt und Orientierung, sondern nur echte Typen. Ich versuche mich daran und kenne auch etliche Frauen, die ein wahrer Fels in der Brandung sind.

"Was wahr ist, zieht der Erde einen Scheitel", schrieb Bachmann einmal an anderer Stelle. Gerade in derart diffusen Zeiten, in denen wir leben, brauchen Kinder und Jugendliche diese Klarheit. Ich glaube, das sind wir ihnen schuldig.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/geb.1955
Gesamttitel: TROIS COULEURS: BLANC / Original Filmmusik
Titel: Morning at the hotel
Anderer Gesamttitel: DREI FARBEN: WEISS / Original Filmmusik
Ausführende: The String Sextett
Ausführender/Ausführende: Zbigniew Paleta /Violine
Länge: 02:00 min
Label: Virgin 394722

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