Gedanken für den Tag

von Oliver Achilles, katholischer Theologe. "Wir sind alle Griechen". Gestaltung: Alexandra Mantler

Glauben und Gewalt

Es ist eine verstörende antike Erzählung: Ein Vater erhält von Gott den Auftrag, sein geliebtes Kind als Opfer darzubringen. Ohne die Mutter seines Kindes davon in Kenntnis zu setzen, bringt der Mann sein eigenes Fleisch und Blut zum Opferaltar. In letzter Sekunde, kurz bevor die Schlachtung des Kindes erfolgt, interveniert die Gottheit und an Stelle des geliebten Kindes findet sich ein Opfertier auf dem Brandaltar wieder.

Da gibt es natürlich die biblische Erzählung von Abraham und Isaak. Aber auch jene von Agamemnon und Iphigenie, von denen etwa Euripides eine Tradition mit den gleichen Motiven übermittelt hat. Bereits Goethe ist diese Parallele aufgefallen.

Natürlich gibt es zwischen den beiden Überlieferungen auch deutliche Unterschiede. Und doch ist die strukturelle Verwandtschaft kaum von der Hand zu weisen. Gleichzeitig ist eine solche Erzählung für viele Menschen Anlass, Religion - und vor allem was in ihrem Namen geschieht - generell abzulehnen oder gar zu fürchten. Wie kann aus dieser Richtung etwas Gutes für den Menschen erwachsen?

Ich finde es spannend, dass die griechische wie die hebräische Überlieferung sich dieser Ambivalenz stellen. In beiden Fällen wird erzählt, dass die Tötung des Kindes eine göttliche Forderung sei - und in beiden Traditionen wird das Leben durch göttliches Eingreifen gerettet.

Dass Religion auch missbraucht werden kann, ist keine neuzeitliche Entdeckung. Bereits antiken Auslegern war bewusst, dass Erzählungen wie diese als Einladung verstanden werden wollen, einen tieferen Sinn in ihnen zu finden. Könnte es in dieser Erzählung darum gehen, dass Abraham aus religiöser Überzeugung etwas tun wollte, das sich letztendlich als zutiefst unmenschlich und gegen den Willen Gottes gerichtet gezeigt hat? Auch das ist ein Motiv von ungebrochener Aktualität.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Andre Jolivet
Album: ANDRE JOLIVET: KLAVIERWERKE - Christiane Mathe
Titel: Etüde für Klavier über antike (griechische) Modi
Solist/Solistin: Christiane Mathe /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Koch 311322H1

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