Gedanken für den Tag

von Ulla Konrad, Klinische Psychologin, Heilpädagogin und Mitglied des Vorstandes von CONCORDIA. "Vertrauen und Zuwendung". Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Unangreifbare

Concordia betreut in Bukarest viele Jugendliche und junge Erwachsene mit Drogenproblemen. Die ethnobotanischen Drogen fressen sich rasch in das Leben der jungen Menschen.

Die meisten sind HIV positiv. Der Weg aus der Sucht ist schwierig und hart und verlangt den Betreuern alles ab. Trotzdem scheitern sie immer wieder. Viele der Drogenabhängigen leben auf der Straße, in Abbruchhäusern oder im Kanalsystem. Wenn sie zu uns kommen, ruhen sie sich erst einmal aus. Ich habe ein Jahr im Sozialzentrum gelebt und gearbeitet. An kalten Wintertagen waren wir übervoll und ich musste über Schlafende steigen, wenn ich in mein Zimmer wollte. Der Geruch der Nächte von damals ist mir immer noch im Gedächtnis. Auf Reisen in der Dritten Welt dachte ich später: Obdachlosigkeit riecht überall gleich. Man verliert Berührungsängste und Ekel. Wichtig sind die Menschen, die kommen.

Wir haben klare Strukturen im Zentrum. Die Jugendlichen sind meistens von großer Dankbarkeit und von noch größerem Bedürfnis nach Zuwendung und Aufmerksamkeit. Aber ich habe mich nie bedrängt, bedroht oder respektlos behandelt gefühlt. Die Geschichten gehen leider nicht immer gut aus.

Zuletzt war es Josip. Ein sehr hübscher junger Mann. Scherzhaft meinten viele: Der könnte ein Model werden. Er war aus guter Familie und hatte Arbeit, aber die Drogen ließen ihn nicht los. Unsere junge Ärztin im Haus sagte, er ist in zunehmend schlechter körperlicher Verfassung, aber das Krankenhaus hat ihn siebenmal abgewiesen. Nicht so schlimm, hieß es, die Betten sind knapp. Natürlich sind wir mit unseren Patienten im Spital nicht beliebt. Eines Nachts Akutaufnahme in der Klinik, in der Josip eine Woche später stirbt. Diagnose: Meningiale Tuberkulose.

Die junge Ärztin erzählt mir: "Wir konnten uns nicht mehr von ihm verabschieden. Aber seine Mutter, die jahrelang keinen Kontakt mehr zu ihm wollte, hat ihn am Tag vor seinem Tod mit dem letzten Essen gefüttert. Dafür sind wir dankbar." Wir wissen, dass das gottseidank ein Ausnahmefall ist. Viele können wir auf eine bessere Bahn zurückbringen. Das ist dann der schönste Lohn.

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Titel: GFT 160910 Gedanken für den Tag / Ulla Konrad
Länge: 03:49 min

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