Zwischenruf

von Pfarrer Marco Uschmann (Wien)

Tag der offenen Moschee - nicht in Österreich, wohl aber in Deutschland. Traditionell laden Muslime am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, in ihre Moscheen ein. Das scheint dieses Jahr gutgegangen zu sein. Das war nicht unbedingt zu erwarten, ist doch Ende September erst ein Bombenanschlag auf eine Moschee in Dresden verübt worden.

Tag der Deutschen Einheit: Einigkeit soll demonstriert werden, Einigkeit von Bürgerinnen und Bürgern, Politik und vielleicht auch Religionen. In Summe: Einigkeit der Gesellschaft im Nachbarland. Das ist scheinbar nicht so gut gelaufen. Die Regierung, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, wurde ausgepfiffen, Pegida zog durch die Straßen, Gegendemonstrationen bahnten sich ihren Weg. Und doch ist alles friedlich geblieben, mir jedenfalls sind keine Schreckensmeldungen untergekommen.

Der Tag der deutschen Einheit will in Erinnerung rufen, dass Spaltung überwunden wurde und dass gemeinsame Zukunft möglich ist. Heuer zeigte dieser Tag das ganze Gegenteil: Die Gesellschaft ist gespalten, in Arm und Reich, in Oben und Unten, in Flüchtling und - ja was? Nicht Flüchtling? Und die Gesellschaft scheint auch gespalten zwischen den Religionen.

Spätestens an diesem Punkt sind wir in Österreich und in Europa angekommen. Die Spaltung scheint den Kontinent zu durchziehen. Einig scheinen sich alle nur in einem zu sein: So kann es nicht weitergehen, die Spaltungen müssen überwunden werden, bevor sie unüberbrückbar geworden sind. Dem stimme ich zu. Wobei ich Einheit nicht als Glattbügeln und Zudecken von anderen Meinungen oder Lebensauffassungen verstehen will.

Ausgerechnet die Kirchen machen es nun vor, wie mit Unterschieden und verschiedenen Meinungen gut und konstruktiv umgegangen werden kann. "Ausgerechnet" sage ich deswegen, weil Religion und Religionen jahrhundertelang für schlimmste Auseinandersetzungen sorgten. Im 16. Jahrhundert löste die Reformation Kriege aus, Menschen wurden verfolgt, vertrieben, getötet. Das ist überwunden. Auch wenn es nicht leicht war, auch wenn es Jahrhunderte dauerte. Heute sind die Kirchen gemeinsam unterwegs. So gedenken die Evangelischen Kirchen in Österreich gemeinsam des Reformationsjubiläums im nächsten Jahr: Die Methodistische, die Reformierte und die Lutherische Kirche sind hier gemeinsam unterwegs.

Auch die Römisch-Katholische Kirche leistet ihren Beitrag: Ende September sind der lutherische Bischof Michael Bünker und der Ökumene-Bischof der römisch-katholischen Kirche, Manfred Scheuer, gemeinsam mit Journalisten zu den Stätten der Reformation gefahren. Es ging darum, die Spuren Luthers zu entdecken. So führte die Reise nach Wittenberg, wo alles begann, ins Augustinerkloster, wo Luther als Mönch lebte, oder auf die Wartburg, wo die Bibelübersetzungen entstanden. Beide Bischöfe feierten eine ökumenische Vesper im Augustinerkloster, beide sprachen von einer "Heilung der Erinnerung". So scheint es längst, bei allen Unterschieden wie etwa dem Zölibat oder dem Abendmahlsverständnis, längst nicht mehr um ein Gegeneinander, nicht um ein Nebeneinander, sondern um ein Füreinander zu gehen. So jedenfalls drückte es Bischof Bünker aus. Dies aber kann und soll natürlich über die Kirchenmauern hinaus für die Gesellschaft gelten. So machen es die Kirchen vor, wenn sie jahrhundertealte Vorurteile und Verkrustungen aufbrechen und füreinander da sind.

Wie nun könnte das in der Gesellschaft aussehen? Vieles ist offensichtlich. So geht es darum, die anderen gelten zu lassen. Bei aller Verschiedenheit einander Achtung entgegenzubringen. Das ist nicht immer einfach und bedeutet manchmal auch, über den eigenen Schatten zu springen. Aber bei allem Selbstbewusstsein darf das Gegenüber nicht zum Feind werden. Das ist das ureigene Programm der Kirchen, die damit auch Einfluss nehmen wollen auf die Gesellschaft. Diese setzt sich ja längst zusammen aus verschiedenen Kulturen und Religionen - ist, wie es so schön heißt, multikulturell. So kann es nicht darum gehen, den anderen niederzuschreien und mit Trillerpfeifen oder womöglich Schlimmerem mundtot zu machen. Vielmehr bedeutet es einen Gewinn, auf andere zuzugehen, sie willkommen zu heißen und gemeinsame Wege zu finden.

Was in Deutschland teils gelungen scheint - Tag der offenen Moschee - teils misslungen scheint - Tag der Deutschen Einheit - ist auch in ganz Europa und dementsprechend auch in Österreich den Menschen aufgegeben. Beispiele gibt es genug: seien es der Streit um die Mindestsicherung, die Bundespräsidentenwahl oder die Asylsuchenden im Land. Was die Kirchen vormachen, könnte hier als Beispiel dienen. Mal schauen, was der Nationalfeiertag so bringt.

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