Oliver Tanzer

LUKAS BECK

Gedanken für den Tag

von Oliver Tanzer, Autor und Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung "Die Furche". "Das Böse und das Geld" - Eine Reise zu den gar fürchterlichen Schattenseiten des Kapitals in Legenden, Dichtung und religiöser Wahrheit - und wie sie unsere Wirklichkeit prägen. Gestaltung: Alexandra Mantler

Vom Glück des Reichtums - Hiob als Homo Oeconomicus

Wir haben eine sehr eigene Sicht vom Glück. Irgendwie scheint der materiell Beschenkte eine intensive Verbindung zum Unglück zu haben und zum Bösen. Im Mittelalter gab es ganze Folianten von Schauergeschichten, in denen der Reiche jammernd und wehklagend zur Hölle fahren muss und seine Goldmünzen sich in glühende Kohlen verwandeln, die auf immerdar in seinen Eingeweiden brennen.

Aus der Bibel kommt die Geschichte von Hiob, dem Reichen und Edlen, der alles verlieren muss, weil Gott ihn dem Teufel quasi als menschliches Versuchstier zur Verfügung gestellt hat. Und so ist es in unzähligen Mythen: Reichtum und Segen macht letztlich Fluch. König Midas kann Gold machen, aber die Fähigkeit lässt alles in seiner Umgebung zu Edelmetall erstarren: Speis und Trank, Diener und Töchter.

Darin liegt ein seltsames Paradox: Wir verbinden das Böse nicht, wie es doch eigentlich logisch wäre, mit der Armut von so vielen. Nein, wir verbinden das Böse bereitwillig mit dem Wohlstand der wenigen. Der Teufel trägt sozusagen Prada, nicht Pennymarkt. Er sucht den superreichen Bankier heim und den begnadeten Spekulanten, den vom Glück Verwöhnten. Das alles gehorcht einer instinktiven Logik: Dass nämlich der, der etwas hat, dieses Etwas jemandem anderen weggenommen haben muss. An diesem Punkt mischt sich oft das Gefühl für Gerechtigkeit mit Neid, das aber nur nebenbei.

Denn insofern sind Krisenzeiten immer auch moralische Hoch-Zeiten - eine Zeit, in der gleichsam die Hochzeit der Ethik und der Rache gefeiert wird. Es ist das Ende einer Peri-ode exorbitanter Gier, die von einem sozialen Schuldverfahren gerichtet wird. Die Krise am Höhepunkt einer Spekulation ist gleichzeitig der Tiefpunkt der Moral. So scheint jedem Konjunkturzyklus ein moralischer Antizyklus unterlegt. Je höher der Gewinn, desto niedriger die Moral.

Aber reden wir einmal von den Folgen für die Glücklichen und die moralisch Bösen. In früheren Krisenszenarien war das einfach. Etwa bei der Tulpenkrise in Holland im 17. Jahrhundert: Ein begrenzter Zusammenbruch, der auf die gierigen Investoren beschränkt blieb und sie hart bestrafte. Heute aber ist das Schuldverfahren längst sozialisiert.

Die Verfehlungen an den Finanzmärkten sind bis ins Mark mit unseren Löhnen, Pensionen und Sparkonten verbunden. Der Setzkasten des Bösen funktioniert nicht mehr. Vor allem weil wir manchmal selbst mit dabei sind in den Spekulationen: Mit unseren Pensionsgeldern und Zukunftsfonds. Und auch weil die Staaten selbst mit ihren Schuldentiteln spekulieren müssen.

Aufklärung täte also not. Aber sie kommt nicht. Nicht einmal für unsere Kinder. Die lernen Ökonomie, wenn überhaupt, dann nebenbei in der Schule. Uns fehlt dafür banalerweise das Geld, sagt die Politik. Da drängt sich ein diabolischer Verdacht auf. Dass wir nämlich dumm gehalten werden und uns auch für dumm verkaufen lassen und am Ende vielleicht verkauft sind.

Service

Tomas Sedlacek und Oliver Tanzer, "Lilith und die Dämonen des Kapitals", Hanser Literaturverlage

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Laurie Anderson
Komponist/Komponistin: Peter Lawrence Gordon
Album: STRANGE ANGELS
Titel: The day the devil
Solist/Solistin: Laurie Anderson /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: WB 9259002

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