Gedanken für den Tag

9. Dezember 2016, 06:56

Über den Glauben an die Natur

"Der Himmel groß, voll herrlicher Verhaltung! Ein Vorrat Raum, ein Übermaß von Welt! Und wir, zu ferne für die Angestaltung, zu nahe für die Abkehr hingestellt."

Die poetischen Worte Rilkes kommen uns in den Sinn, wenn wir in einer wolkenlosen Nacht, fern von den störenden Lichtern der Großstadt, das sternenübersäte Himmelszelt bewundern.

Alles scheint in die Natur eingebunden zu sein: Nicht nur der einzelne Mensch. Hierin eingebunden sind das gesamte Menschengeschlecht, alles Belebte und Unbelebte auf der Erde, der Mond, die Sonne, die Planeten, die Sterne.

Angesichts des gigantischen Schauspiels der Natur, in dem der Einzelne wie ein belangloser Statist seinen flüchtigen Auftritt absolviert, kann man bloß vor den atemberaubenden Naturereignissen, vom Urknall, den Sternexplosionen und den Schwarzen Löchern bis hin zum Flattern eines Schmetterlings, bis hin zu den biochemischen Reaktionen, auf denen das Leben fußt, in Bewunderung verharren.

Der Glaube an die Natur lässt einerseits in wohliger Ehrfurcht vor den gigantischen Kräften des Alls erschauern, beruhigt aber andererseits zugleich, weil diese Kräfte das eigene persönliche Dasein nicht berühren. Moral beruht auf Konvention.

Seine moralische Ödnis rechtfertigt der an die Natur Glaubende aus seiner Sicht einleuchtend: Alles, was dem Einzelnen für sein Dasein triftig scheint, das Wertvolle, dem er nacheifert, das Verhasste, das er verachtet, all seine Liebe und sein Leid, verfällt angesichts der dafür blinden Natur zu völliger Belanglosigkeit. All sein Fühlen, all sein Streben ist im Grunde nicht mehr als eine Marotte, nicht zu unterscheiden von den Zuckungen eines Pantoffeltierchens. Dessen muss sich jeder bewusst sein, der - bildhaft gesprochen - "seinen Gott" in der Natur zu finden glaubt.

Service

Rudolf Taschner, "Woran glauben - 10 Angebote für aufgeklärte Menschen", Verlag Brandstätter

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler