Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien).

Gegen alle Vernunft

Kennen Sie Anas al-Basha? Ganz kurze Zeit nur ist sein Name Anfang Dezember in den Medien präsent gewesen - um wenige Tage später wieder vollständig in Vergessenheit zu geraten.

Anas al-Basha, 24 Jahre alt, Sozialarbeiter, Schwerpunkt: Betreuung von traumatisierten Kindern, wohnhaft: Aleppo, Syrien. Bei der Bombardierung der Stadt am 29. November durch syrische oder russische Kampfflugzeuge ist er um's Leben gekommen. Einer von vielen, von hunderten, und doch hat er kurze Zeit diesem ganzen unmenschlichen Drama ein Gesicht gegeben. Anas al-Basha war nämlich Clown, der Clown von Aleppo.

Mitten in der umkämpften Stadt ist er im Clownskostüm unterwegs gewesen: Rote Nase, orange Perücke, bunte Kleidung, hat Kinder zum Lachen gebracht, mit Zauberkunststücken unterhalten. Hat die Stadt nicht verlassen, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Hat sogar noch vor zwei Monaten, mitten drin in der Brutalität des Krieges, geheiratet. Wollte einfach bei "seinen" Kindern bleiben, sie zumindest ein wenig von den traumatisierenden Ereignissen um sie herum ablenken. Und ist nun selbst Opfer geworden.

Nun weiß ich nicht, ob Anas el-Basha ein religiöser Mensch gewesen ist. Ich weiß nicht einmal, aus welcher religiösen Gruppe in Syrien seine Familie und er stammen. Im syrischen Bürgerkrieg spielt die jeweilige Religionszugehörigkeit ja jeweils eine unglückselige Rolle, ist Grund für Ablehnung und Feindschaft. Bei Anas el-Bashar war das irrelevant. Was er getan hat, was er verkörpert hat, das war entscheidend.

Er war einfach ein Mensch. Ein Mitmensch. Hat das gelebt, was Mensch-Sein eigentlich ausmacht: Empathie, Verantwortungsbewusstsein, ja, Mut, etwas zu riskieren, wenn es die Menschlichkeit fordert. Er hat das verkörpert, was die Kernbotschaft einer jeden Religion ist, was aber auch gelebt werden kann außerhalb einer bestimmten, verfassten religiösen Gruppe. Er hat den eigentlichen Kern von Religion, bewusst oder unbewusst, erfasst und verkörpert: radikal Mensch Sein, wenn es sein muss, allen Warnungen, ja aller Vernunft zum Trotz. Getragen vom Vertrauen, dass es sich lohnt, so zu leben und so zu handeln. Dass es sich sogar gelohnt hat, wenn es einen das Leben kostet.

Einen tieferen Glauben kann ein Mensch gar nicht haben. So ein Glaube braucht dann auch gar kein Etikett mehr, muss sich nicht mehr als christlich oder muslimisch oder jüdisch oder buddhistisch deklarieren.

Jede verfasste Religion kann sich an dieses fundamentale Prinzip nur annähern: Friede, Shalom, Salam - mehr als nur das Bemühen, seinem Mitmenschen möglichst in Ruhe zu lassen. Nein, es ist der Versuch, Zeichen zu setzen, dass Mitmenschen sich umfassend in ihren Wünschen und Bedürfnissen verstanden fühlen. Ein Verständnis von Friede, das der Apostel Paulus im Neuen Testament als "höher als alle Vernunft" charakterisiert.

Was Anas al-Basha gemacht hat, war unvernünftig. Er hat den menschlichen Überlebenstrieb in sich ignoriert. Er hat auch nichts am Krieg in Syrien verändert mit seiner Entscheidung, alles für die Kinder, die ihm wichtig waren, zu riskieren. Der Krieg geht mit unverminderter Härte und Brutalität weiter. Keiner der Verursacher und politisch Verantwortlichen hat sich durch die Geschichte vom "Clown von Aleppo" auch nur im Geringsten umstimmen lassen.

Und trotzdem: Seine Geschichte lässt niemanden kalt. Auch wenn Anas al-Basha zunächst einmal gescheitert zu sein scheint - was er gemacht hat, ist eine große Hoffnungsgeschichte biblischen Ausmaßes. Er hat Menschen, Kindern, wenn auch nur für kurze Zeit, den Augenblick wertvoll gemacht. Sie fühlen lassen, dass das Leben noch nicht ganz aus ihnen ausgetrieben wurde. Dass es nach wie vor in ihnen drinsteckt - das Staunen, das Lachen, die Fantasie, die Freude am Spiel. Er hat ihnen gezeigt, dass sie nach wie vor wertvolle Menschen sind, auch wenn alles um sie herum ihnen die letzte Würde abgesprochen, sie zum Kanonenfutter gemacht hat.

Menschen wie Anas al-Basha braucht es, um daran zu erinnern, was es bedeutet, Mensch zu sein. Und um die Lügen zu strafen, denen die Menschenwürde nichts wert ist.

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