Rote Hände auf einem weißen Tuch

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Punkt eins

Er bringt sie noch um

Frauenmorde verhindern. Über Risikoanalysen bei Gewalt in der Privatsphäre. Gäste: Nicole Krejci, Gewaltschutzzentrum Wien & Rätin Nina Lepuschitz, Landeskriminalamt Wien, Leiterin des Opferschutzzentrums, Klinische und Gesundheitspsychologin. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Fünf Frauen wurden an nur einem Tag in Wien ermordet. Neun Fälle schwerer Gewalt an Frauen zählen die Autonomen Frauenhäuser in den vergangenen acht Wochen. Und dann wurde der Fall eines 12-jährigen Mädchens bekannt, das von mehreren Buben und jungen Männern vergewaltigt worden war. Warum greifen die Gewaltschutz-Maßnahmen nicht? Müssen sie zielgerichteter sein oder sind es die falschen?

Medienberichte, Apelle, ein Gewaltschutzgipfel, internationale Aufmerksamkeit: angesichts der hohen Zahl an Frauenmorden in Österreich ist die Debatte in Gang gekommen und macht einmal mehr deutlich, was hierzulande fehlt und im Bericht "Gewalt- und Opferschutz für Frauen" des Rechnungshofes Ende August 2023 kritisiert wurde: eine langfristig angelegte Gesamtstrategie, einheitliche Kriterien für die Beurteilung von Hochrisikofällen und die Abwicklung von Fallkonferenzen - und ein Bewusstsein dafür, dass häusliche Gewalt bzw. Gewalt in der Privatsphäre ein geschlechtsbezogenes und gesellschaftliches Problem ist, das zwar in der Privatsphäre stattfindet, allerdings keine Privatsache ist. "Sowohl die Entstehung von Gewalt in der Privatsphäre als auch ihre gesamtgesellschaftlichen Folgen liegen in öffentlicher Verantwortung", liest man beispielsweise in einer Analyse im SIAK-Journal über den Auftrag der Polizei im Einsatz bei Fällen häuslicher Gewalt.

Die Polizei spielt eine zentrale Rolle, wenn es um Gewalt in der Privatsphäre geht: Polizist:innen müssen die Situation einschätzen und über Schutzmaßnahmen wie ein Betretungs- und Annäherungsverbot entscheiden. Österreichweit wurden 2023 mehr als 15.000 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Immer wieder sorgen Fälle für Empörung, bei denen wiederholte Gewalttäter nicht weggewiesen wurden oder Behörden und Einrichtungen Zeichen der Eskalation und Risikofaktoren nicht erkannt haben. Wie lässt sich die Gefährlichkeit einer Situation einschätzen?

Die Landespolizeidirektion Wien hat 2021 einen GiP - Gewalt in der Privatsphäre-Support eingerichtet. Die Klinische- und Gesundheitspsychologin Nina Lepuschitz war daran wesentlich beteiligt. Sie hat zuvor sechs Jahre im Opferschutz gearbeitet und in weiterer Folge auf empirischer Grundlage eine polizeiliche Risiko Checkliste für Gewalt in der Privatsphäre erarbeitet.

Um die Gewalt im Privaten einzudämmen und Hochrisikofälle zu identifizieren, wurde im Oktober als Pilotprojekt ein polizeiliches Opferschutzzentrum im Assistenzdienst des Landeskriminalamts gegründet, das für entsprechende Risikoanalysen zuständig ist und direkt Opfer und Täter kontaktiert, um das Risiko einer erwartbar schweren Gewalt zu reduzieren und Hilfe anzubieten. Nina Lepuschitz ist die Leiterin des polizeilichen Opferschutzzentrums, das seit seiner Gründung über 250 Hochrisikofälle bei Gewalt in der Privatsphäre bearbeitet hat. Ende März wird entschieden, ob das Pilotprojekt fortgeführt und gegebenenfalls ausgeweitet wird. Wie der Rechnungshof in seinem Bericht kritisierte, gibt es das Tool zur Einschätzung der Gefährdung ebenso wie Unterstützungsstrukturen wie den GiP-Support und das Opferschutzzentrum nur in Wien.

In der Hauptstadt arbeitet die Polizei intensiv mit dem Wiener Gewaltschutzzentrum und der Präventionsstelle Neustart zusammen. In Fallkonferenzen werden Gefährlichkeitseinschätzungen und Sicherheitsplanungen durchgeführt und Hochrisikofälle analysiert.

Was ist ein Betretungs- und Annäherungsverbot, was eine Hochrisikosituation und wie erfolgt die Gefahrenprognose? Was sind Risikofaktoren für Männergewalt gegen Frauen? Wo lässt sich ansetzen, um Gewalt im Einzelfall zu verhindern? Und wie sehr ist das Umfeld gefordert? Welche Maßnahmen kann man schließlich rechtzeitig zum Schutz der (späteren) Opfer setzen - und was sind die Herausforderungen?

Nina Lepuschitz von der Landespolizeidirektion Wien und Nicole Krejci vom Gewaltschutzzentrum Wien sind Gäste bei Barbara Zeithammer und sprechen über Gewalt gegen Frauen und Amtshandlungen mit Gefährdungspotenzial im privaten Bereich.

Unsere Hörerinnen und Hörer sind wie immer herzlich eingeladen, ihre Erfahrungen zu teilen und ihre Fragen zu stellen. Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Polizei-Notruf: 133
Opfer-Notruf: 0800 112 112
Frauen-Helpline: 0800222555
24-Stunden-Frauennotruf: 0171719
24-Stunden-Notruf der Wiener Frauenhäuser: 057722
Gewaltschutzzentren: 0800 700 217

http://www.aoef.at Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF)

Rat auf Draht: 147
Telefonseelsorge: 142

Männerberatung: 0800 400 777
Männernotruf: 0800 246 247

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Komponist/Komponistin: Tori Amos
Titel: Silent All These Years
Ausführende: Tori Amos
Länge: 04:10 min
Label: EMI

Komponist/Komponistin: Nina Simone
Titel: Plain Gold Ring (Remastered)
Ausführende: Nina Simone
Länge: 03:51 min
Label: Blue Note

Komponist/Komponistin: Franz Schubert
Titel: Sonata for Arpeggione and Piano in A Minor, D.821: 2. Adagio
(davon 59 Sek. unterlegt)
Ausführende: Martha Argerich & Mischa Maisky
Länge: 03:16 min
Label: DGG

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