Radiokolleg - Islamophobie
Diagnose einer Störung
(2). Gestaltung: Thomas Edlinger
30. Juni 2015, 09:05
Die Kopftuchdebatte hat den Begriff populär gemacht, nun hört man die Warnung davor überall - egal ob es um eine neue Moschee, das Islamgesetz oder die Reaktion auf die Mordanschläge in Paris geht. Die Rede von der Islamophobie geht um. In dem Wort klingen sowohl die Xenophobie, also die Angst vor Fremden wie auch die Vorstellung mit, die Ablehnung des Islams sei nichts anderes als ein religiös getarnter Rassismus gegen Muslime.
Der Kampf gegen Islamophobie ist daher aus der Sicht vieler Antirassist/innen ehrenwert und dringlicher denn je. Ein Feindbild der Islamophobiker/innen ist das Schreckgespenst einer angeblichen Islamisierung Europas, das von Pegida, aber auch von diversen rechten Parteien und Stimmungsmacher/innen an die Wand gemalt wird. Der Rassismus bedient sich der Ängste vor radikalen Islamisten und instrumentalisiert sie für prinzipielle Verdächtigungen und Anfeindungen gegen Muslime. Gegen diese wehren sich nicht nur Stimmen aus muslimischen Kreisen. Auch die christlich-konservative deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellt klar: Der Islam gehört zu Deutschland.
Doch es gibt auch andere Positionen. Der französische Philosoph Pascal Bruckner hält die Islamophobie für einen Kampfbegriff, der jegliche Kritik an der Religion zu Rassismus erklärt und damit erstickt. Außerdem betreibe er das Ziel eines Opferaustausches, indem die Diskriminierung von Muslimen dem Antisemitismus gleichgestellt wird. Laut Bruckner wurde der Begriff von iranischen Fundamentalisten im Zuge der Revolution 1979 erfunden, um den Aufruf der amerikanischen Feministin Kate Millett an die iranischen Frauen, ihre Tschador zu lüften, als rassistisch denunzieren zu können.
Der Rassismusvorwurf trifft einen wunden Punkt im schlechten Gewissen der westlichen Ex-Kolonialmächte. Tatsächlich gibt es Vorurteile und Übergriffe gegen Muslime, die - gerade im offiziell laizistischen Frankreich - zu Benachteiligungen führen. Wer in den Banlieues lebt und den falschen Namen trägt, hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Andererseits sorgen die Vehemenz des globalen Terrors im Namen Allahs und der bedrohliche Antisemitismus vieler Muslime für immer mehr Angst vor dem politischen Islam.
Wer über Islamophobie spricht, merkt schnell: Der Islam im Singular ist eine Fiktion. Was es gibt, ist die Summe derer, die sich auf ihn und die Kritik an ihm berufen. Die Debatte um das Reizwort Islamophobie zeigt, wie sich Religionskritik und Antirassismus bzw. die Ideale der Aufklärung und die Praxis des Multikulturalismus in die Quere kommen.
Service
Mahmoud Bassiouni: Menschenrechte zwischen Universalität und islamischer Legitimität (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2015)
Sama Maani: Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. (Drava Verlag 2015)
Olivier Roy: Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen (Pantheon Verlag 2011)
Susanne Schröter: Geschlechtergerechtigkeit durch Demokratisierung?: Transformationen und Restaurationen von Genderverhältnissen in der islamischen Welt (Transcript Verlag 2013)