"Der letzte Ort" von Sherko Fatah
Der Berliner Schriftsteller Sherko Fatah hat familiäre Wurzeln im irakischen Kurdengebiet. Mitten in den irakischen Kriegswirren spielt auch sein neues Buch "Der letzte Ort", ähnlich wie zuvor schon seine literarischen Erfolge "Das dunkle Schiff" und "Ein weißes Land". Diesmal steht ein besonders düsteres Kapitel im Zentrum seines Buches: Entführung und Misshandlung von Menschen durch radikale Islamisten.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 09.08.2014
Wandler zwischen Welten
Schon von seiner Biographie her versteht es der bald 50-jährige Sherko Fatah, zwischen den Welten zu wandeln. Er ist der Sohn eines irakisch-kurdischen Vaters und einer Deutschen, aufgewachsen zunächst in Ostberlin, mit zehn Jahren dann nach Wien und später nach Westberlin gekommen. Sein neues Buch "Der letzte Ort" spielt an einer ganzen Reihe von ziemlich unwirtlichen Orten, irgendwo im Irak. Dort hat es die Hauptfigur Albert, einen Deutschen, hin verschlagen, ein Aussteigertyp, der eine Art archäologisches Medienprojekt verfolgt und prompt in die Hände von islamistischen Aufständischen gerät. Sie entführen ihn und seinen Übersetzer, den Einheimischen Osama.
Geschichte einer Entführung
Ausgehend von der Art, wie die beiden Männer miteinander und mit ihrer Situation umgehen, lässt Sherko Fatah kulturelle, politische und psychologische Bruchlinien offenbar werden. Seine Herangehensweise fasst er kurz so zusammen: "Bei einer Enführung wie hier in dieser Geschichte, geht es ja darum, gewaltsam versetzt zu werden und konfrontiert zu werden in die Fremde, mit der Fremde. Und das ist ja eines meiner Themen literarisch. Wie reagiert ein Mensch auf die Konfrontation mit einer anderen, völlig fremden Kultur, die ihm dann - in diesem Fall jetzt - auch noch aggressiv gegenüber steht.
Ihre Geschichtsschreibung
Und für Albert, den nicht besonders heldenhaften deutschen Romanhelden, bedeutet die Gefangenschaft auch einen strapaziösen Selbstfindungsprozess: "Wer bin ich, fragt er sich, mit all dem Gepäck, was ich mitgebracht habe, in dieser Fremde. Hatte das überhaupt einen Sinn oder ist das wieder nur eine Fiktion in seinem Leben, etwas Gutes tun zu wollen, irgendwo, wo niemand auf ihn gewartet hat." Mit den islamistischen Rebellen in Sherko Fatahs Buch "Der letzte Ort" sind unverkennbar Leute vom irakischen Al Kaida-Ableger gemeint. Mittlerweile hat die Lage dort eine neue Dynamik bekommen, mit dem Vormarsch der radikalen Milizen der Gruppe Islamischer Staat. Aber der Autor Fatah meint, das Muster wäre schon vorgeprägt gewesen: "Ja, es zeichnete sich ab. Es ist ihre Mythologie, die ich da wiedergebe. Es ist ihre eigene - und das hat mich interessiert - ihre eigene Geschichtsschreibung, die sie jetzt schon beginnen, aus der Taufe zu heben, ihre Helden, ihre Siege."
"Islamistenmiliz wäre aufzuhalten"
Ist der Vorstoß der Islamisten im Irak so unaufhaltsam, wie es zeitweise den Anschein hat? Sherko Fatah meint, die Leute von Islamischen Staat wären aufzuhalten, wäre nur der Wille dazu groß genug: "Militärisch ist sie sicher nicht unaufhaltsam. Es müsste sich eben nur jemand in die Bresche werfen und dieses Risiko übernehmen. Letztendlich sind sie wenig. Aber niemand will eingreifen. Es ist sicherlich auch ein Problem der Obama-Administration, nicht in die selbe Situation zu kommen wie Bush vorher und wieder einen Krieg am Hals zu haben. Also diese Rückzugstendenz des Westens im Nahen Osten hat das auch begünstigt. Eine große Streitmacht ist das nicht."
Sherko Fatah wirft mit dem Buch "Der letzte Ort" einen tiefen Blick auf die geistige Landschaft eines auch seelisch stark zerrissenen Landes. Notorische Optimisten werden es nach der Lektüre noch etwas schwerer haben bei dem Versuch, Wunsch und Wirklichkeit in Einklang zu bringen.