Die vielen Leben des Paul Celan

Celans Kreidestern

In "Celans Kreidestern" berichtet Brigitta Eisenreich über ihr Verhältnis, das sie mit Paul Celan in Paris hatte. Das Buch macht die Zusammenhänge zwischen Eros und dem Entstehen der Poesie des Dichters deutlich. Geschildert wird auch Celans Fähigkeit, viele Leben parallel zu führen.

Kulturjournal, 19.04.2010

Im Suhrkamp Verlag ist "Celans Kreidestern - ein Bericht" erschienen. Die Autorin ist die in Linz geborene, heute bei Paris lebende 82-jährige Brigitta Eisenreich, Schwester des Schriftsteller Herbert Eisenreich. Es ist ein Bericht über ihr bislang der Öffentlichkeit verborgen gebliebenes Verhältnis, das sie mit Paul Celan in Paris zwischen 1952 und 1962 hatte.

Das Kulturjournal hat "Celans deutsche Frau in Paris" in ihrer Wohnung im Vorort Les Lilas besucht.

Goldkettchen von Paul Celan

Um den Hals trägt sie immer noch das Goldkettchen, das ihr Paul Celan einst geschenkt hat - ihr, der Studentin, die als Au-Pair-Mädchen nach Paris gekommen war und dank ihres Bruders, Herbert Eisenreich, Paul Celan in einer Sommernacht 1952 kennen gelernt hat.

50 Jahre hat die pensionierte Ethnologin über ihr damaliges Verhältnis zu Celan geschwiegen. Doch nachdem in Frankreich Celans Korrespondenz mit seiner Frau Gisele Lestrange veröffentlicht worden war, traf Brigitta Eisenreich vor zwei Jahren Ariane Deluz, eine andere ehemalige Geliebte Celans.

"Wir waren uns einig, dass die Darstellung seines Lebens durch diese Korrespondenz unvollständig sei", so Eisenreich. "Denn alle seinen weiblichen Beziehungen anderer Art - mit ihr, mit mir, mit vielen anderen Frauen - waren darin natürlich nicht enthalten."

Sternchen Celans als Widmung

Viel ist Brigitta Eisenreich aus ihrer zehnjährigen Beziehung mit Celan nicht geblieben, ein paar Originalausgaben mit einem kleinen diskreten Sternchen Celans als Widmung, Sternchen, wie er sie auf die Kreidetafel gemalt hatte, wenn er Brigitta in ihrem Pariser Dachzimmer nicht antraf.

Ihr Buch, so die heute 82-Jährige, sei nicht mehr als ein kleiner, weiterer Baustein in der Celan-Forschung, aber "einiges wird revidiert werden müssen", betont Eisenreich, "zum Beispiel die Interpretation von einigen Gedichten. Celan hat immer gesagt: Die Wirklichkeit ist immer dabei, bei allen seinen Gedichten, es gibt keins, bei dem die Wirklichkeit keine Rolle spielt, aber es ist so verschlüsselt und wie kann man es finden? Und dieses Beispiel von dem Gedicht 'Benedicta' mit der Stelle: Er war bei mir und eine Platte bleibt stecken und es ist ein jüdisches Lied, da fragt der Sänger, ob Gott es erlaubt, dass die Welt so sei, wie sie ist, und darauf sagt eine Stimme: Es muss wohl so sein. Und alle diese Stellen gehen dann in ein Gedicht ein. Ich weiß das, dass die Platte stecken geblieben ist an dieser Stelle und endlos den gleichen Satz wiederholte. Das hab ich ihm erzählt - das wissen andere Leute nicht."

Keine Versteckspiele

Über Brigitta Eisenreichs Esstisch hängt eine Graphik von Celans französischer Ehefrau, Gisèle Lestrange, ein tradiertes Zeichen für Celans Bedürfnis, die Frauen seines Lebens voreinander nicht zu verstecken - und doch, auch 50 Jahre später: "Zuerst einmal ihr nichts sagen und dann auf einmal alles die Wahrheit sagen, immer dieses Spielen mit einer Wahrheit, die dann aber sehr schmerzhaft sein kann für andere Menschen und für seine Frau, der er hätte ebenso gut nichts sagen können, um sie zu schützen, die arme Frau hat ja furchtbar gelitten. Aber sie hat dann gesehen, das ist eine wichtige Person für ihn und sie hat gekämpft für das Leben und Überleben seiner Dichtung, das war der große Sinn ihres Lebens."

Brigitta Eisenreich sagt heute, sie habe damals ein sehr freies Leben geführt, habe sich in dieser gegenseitig zugestandenen Freiheit mit Celan getroffen: "In seinem Herzen in seiner Seele und in seinem Denken waren sie durchaus möglich, nebeneinander zu sein, das war kein Problem für ihn. Dabei kann man nicht sagen, dass er ein Don Juan war, aber er war in seiner Persönlichkeit sehr vielgestaltig, sehr facettenreich und das gehört dazu, diese Vielheit, diese vielen Wege und menschlichen Begegnungsmöglichkeiten."

Bachmann und Celan

Ingeborg Bachmann ist Brigitta Eisenreich persönlich nie begegnet: "Für mich war sie ein abstraktes Gebilde, das irgendwo existiert und auch Bindungen hervorruft und eine Rolle spielt, aber es ist auch wieder vorbeigegangen, war's wieder aus. Merkwürdig erscheint mir im Nachhinein, dass er mir, in der Zeit als er sich so an Ingeborg Bachmann wieder angeschlossen hat, die zweite Phase, als er so diese so große, erregte Hinwendung zu ihr wieder vollführt, dass er mir davon vieles erzählt und Gedichte mitteilt, die er ihr widmet und die von ihr handeln", erzählt Eisenreich. "Sie war , wie sie war, er war, wie er war , sie hat ja selbst irgendwo gesagt, es war unmöglich, in der gleichen Luft zu leben, Luft wird knapp, wenn wir beieinander sind, so was hat sie mal gesagt und das dürfte stimmen. Sie war eine sehr starke Persönlichkeit und sie wollt ihn sicher immer fördern und irgendwie leiten und lenken - das geht aus allem hervor."

Ausschlaggebend für das Zustandekommen des Buchs von Brigitta Eisenreich war Bertrand Badiou, der Direktor der Celan-Forschungsstelle an der Pariser Ecole Normale Supérieur - zur Zeit mit der Übersetzung des Bachmann-Celan Briefwechsels befasst. Er hat Brigitta Eisenreich vor über zwei Jahren dazu gebracht, aus einem ersten, kleinen Artikel über ihr Leben mit Celan letztlich ein Buch zu machen: "Das Buch von Brigitta Eisenreich beleuchtet zweifelsohne sehr präzise eine Reihe von Fakten in Celans Leben. Und es gibt dem Zusammenhang zwischen Eros und dem Entstehen der Poesie Celans eine gewisse Perspektive. Die sehr, sehr starke, ja massive Präsenz des Erotischen in Celans Poesie ist mit diesem Buch noch ein Stück deutlicher geworden. Und man sieht etwas, das für manche bewegend und zugleich beunruhigend sein mag, nämlich Celans Fähigkeit, Tausend und drei Leben zu leben. Wie in Leporellos Liste: son gia mille e tre."

Krankheit und Selbstmord

Brigitta Eisenreich hatte 1962 , nachdem Celan reihenweise mit Freunden gebrochen hatte und seine menschlichen Kontakte zusehends durch seine beginnende Krankheit eingeschränkt wurden, endgültig einen Schlussstrich unter ihre Beziehung gezogen, von Celans Selbstmord erfuhr sie durch einen Zeitungsausschnitt.

Die Bedeutung dieser Beziehung für ihr gesamtes Leben? "Prägend kann man nicht sagen, es war eher eine große Klammer, denn ich bin eigentlich nicht zur Untertänigkeit ausgestattet", sagt sie, "mein Charakter ist nicht so, ich bin eher widerspenstig und ihm gegenüber war ich's nicht. Insofern ist es eher ein Ausnahmezustand gewesen."

Service

Brigitta Eisenreich, "Celans Kreidestern - Ein Bericht", Suhrkamp Verlag