Ein liebevoller Briefwechsel

Zwei Mundvoll Schweigen

Sie ist 21 und studiert Philosophie. Er ist 27 und hat gerade die Flucht nach Österreich hinter sich, als sich in Wien zum ersten Mal die Wege von Ingeborg Bachmann und Paul Celan kreuzen. Aus dieser Begegnung entsteht ein lebenslanger Briefwechsel.

Die Frage, ob man in anderer Leute Briefen lesen dürfe - noch dazu laut und womöglich vor Publikum - ist leicht zu beantworten: ja und nein.

Selbstverständlich gibt es ein wissenschaftlich-historisches Interesse an den privaten Äußerungen bedeutender Persönlichkeiten, und wenn sich in dieses legitime öffentliche Interesse auch zuweilen schlichte Bassena-Neugierde mischen mag; wenn auch zuweilen nicht klar zu definieren ist, wer oder was denn nun als Persönlichkeit von hinlänglicher Bedeutung zu gelten habe: Die Skala der Legitimität, wiewohl im mittleren Bereich von so unsicheren Kriterien wie Geschmack und Anstand bestimmt und nach beiden Seiten hin weit offen, liefert dennoch verhältnismäßig verlässliche Anhaltspunkte.

Bei einer Lyrikerin und einem Lyriker vom Rang Bachmanns und Celans verdichten sich diese Anhaltspunkte zur Gewissheit des zulässigen Einblicks, auch, wenn man von so hanebüchenen Feststellungen wie jener, dass beider literarisches Oeuvre tief in der Komplexität ihrer Psychen begründet sei, möglichst konsequent absieht.

Dichtung als Lebensgrund

Wenn man freilich in Rechnung stellt, wie sehr das private Leben, wie geradezu gierig Dichtung als Lebensgrund und Leben als poetische Existenzform aus beider so tragischen Lebensläufen herausdestilliert wurde, mit wie wohlkalkulierten Gerüchten und sorgsam gehütetem Geheimniskram man beiden - und zwar unabhängig voneinander! - buchstäblich zu Leibe zu rücken versucht hat, vergeht einem das freundlich-objektive Interesse am Inhalt auch noch des Briefwechsels, dessen Sperre im Nachlass ja ursprünglich erst Ende 2025, also für das Bachmann-Centennium, aufgehoben hätte werden sollen - zumal Ingeborg Bachmann schon seit ihren Lebzeiten, ganz besonders aber natürlich seit ihrem Tod, von einer Altherren-Bonhommie des Erinnerns verfolgt wird, die in ihrer jovialen Anlassigkeit nur von einzelnen feministisch angetönten Deutungsversuchen (mit ebenso penetranter Intimkennerei) übertroffen wird - was den Schluss nahelegt, dass die nunmehrige Veröffentlichung da, wie man so sagt, gerade noch gefehlt hat.

Einander erfassen

Dieser Schluss ist falsch, und er ist es nicht obwohl, sondern weil die etwa 180 Briefe, die Ingeborg Bachmann und Paul Celan zwischen ihrem Kennenlernen in Wien, im Frühling 1948, und ihrem letzten Lebewohl-Versuch, im Sommer 1967, einander geschrieben haben, das Persönlichste, Privateste, ja Intimste enthalten, worüber sie jeweils verfügten (oder zu verfügen glaubten): ihre Dichtung.

In "Herzzeit" - so der Titel, den die vier Herausgeberinnen und Herausgeber für die Briefsammlung gewählt haben - finden sich nur ganz wenige und jedenfalls von aller Frivolität gänzlich unberührte Spuren jener Intimkonversation, die die Publikation von Liebesbriefen so oft so unerträglich macht.

Bachmann und Celan betrachten, bedichten, deuten, erfassen einander, rätseln und verzweifeln aneinander, legen Gedichte bei (wobei Paul Celans Egomanie unübersehbar ist) und benehmen sich insgesamt wie Liebende, die eben das und nichts Anderes sein wollen - wissend, oder doch zumindest ahnend, dass sie's niemals wirklich sein können. Dass sich für etliche lyrische Metaphern in den Oeuvres Bachmanns wie auch Celans aus diesen Briefen wohltuend klare Deutungen ergeben, ist - ganz besonders wohl für von der Celan-Exegese Langzeitgeschädigte - von zusätzlichem Reiz...

Über Abgründe hinweg

Zu Ende des Jahres 1947 war der gerade 27 Jahre alte Paul Celan nach einem achtwöchigen Gewaltmarsch als Flüchtling vor dem Sowjet-Stalinismus aus Bukarest nach Wien gekommen, wo die Verhältnisse sich, vorsichtig gesagt, in einem merkwürdigen Schwebezustand befanden. Hier, während der damaligen, ganz kurzen, surrealistischen Versuchsphase, lernte er die 21-jährige Philosophiestudentin (und Radio-Mitarbeiterin) Ingeborg Bachmann kennen.

Der Flüchtling Celan hatte beide Eltern in ukrainischen Todeslagern verloren und war selbst den deutschen Nazis und der rumänischen Zwangsarbeit entkommen. Ingeborg Bachmanns beinahe augenblickliche Fasziniertheit rührte wohl auch von dem Wissen her, dass ihr Vater in Klagenfurt einer der hiesigen Nazis der ersten Stunde gewesen war.

Es waren, beiderseits, Lebensversuche über Abgründe hinweg, gleichbedeutend mit einem bedingungslosen, großen Liebesversuch. Paul Celan brachte in seiner kurzen Wiener Zeit - er ging noch im Sommer 1948 nach Paris - seine erste lyrische Sammlung, "Der Sand aus den Urnen", heraus.

Mohnblumen

Sein Gedicht nach der Wiederbegegnung in Köln, 1957, schickte er per Brief an Bachmann, beginnend mit den Zeilen:

Herzzeit. Es stehn die Geträumten für die Mitternachtsziffer. Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg.

In Wien, 1948, hatte er der Geliebten riesige Sträuße von Mohnblumen nach Hause geschickt. Seinen ersten in Deutschland publizierten Gedichtband nannte er, vier Jahre später, "Mohn und Gedächtnis". Das dem Band "Sprachgitter" (1958/59) den Titel gebende Gedicht endet mit dem Vers:

Die beiden herzgrauen Lachen: zwei Mundvoll Schweigen.

Hör-Tipp
Herzeit, Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann, Sonntag, ab 5. Juli 2009, 13:10 Uhr

Buch-Tipp
Ingeborg Bachmann, Paul Celan, "Herzzeit". Briefwechsel", Suhrkamp

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Links
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